„Es geht darum, Spaß zu haben“

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Chiara Jaumann ist Kreative bei HeimatTBWA\ Deutschland. Aus Leidenschaft. Und obwohl sie in der Familie gewarnt worden war: „Mach, was du willst, aber geh nicht in die Werbung!“ Auf den Geschmack kam sie, als sie bei einem Agenturpraktikum in New York eine Idee zum Thema Organspende entwickelte und den Kunden davon überzeugen konnte.


Als aus einer sehr werbelastigen Familie kommendes Kind gab es neben diversen „Millennials are clueless“-Hymnen in meiner Jugend einen immer wiederkehrenden Satz, und der Satz war: „Mach, was du willst, aber geh nicht in die Werbung!“ Pädagogisch eher unschlau, weil wir alle wissen, wie attraktiv es die Dinge macht, wenn einem davon abgeraten wird. Also landete ich 2017 mit zarten 23 Jahren, während meines Journalismusstudiums, bei meinem ersten Praktikum als Texterin in einer Agentur in New York. So ahnungslos, wie ich davor war, was die Tätigkeiten angeht, so unerwartet überraschend fand ich dort meine Leidenschaft.

Es war folgende Gegebenheit, die mich während dieses Praktikums dazu brachte, zu verstehen, ich gehöre in die Werbung: Mein damaliger Art Director Robson und ich hatten eine Idee zum Thema Organspende. Und es war nicht nur irgendeine Idee, es war – in unseren Augen – die beste Idee, die die Welt jemals gesehen hatte. Obviously. Das Problem: Unser Kreativdirektor war zum Zeitpunkt ihrer Geburt zwei Wochen im Urlaub und wir nur noch drei Wochen da. Unsere Lösung also: Pitchen gehen.

Naiv und furchtlos, wie wir also waren, schrieben wir dem Kunden (und wir waren nicht mal schlau genug, unseren damals nicht existierenden Jobtitel wegzulassen), machten einen Termin aus und präsentierten die Idee. Und ich werde mich für immer an den Gesichtsausdruck des eben besagten Kreativchefs erinnern, als er aus dem Urlaub wiederkam. Und die Tatsache, dass er uns damals einen Job anbot, anstatt uns direkt zu feuern. Ich hatte mich im Berufskontext noch nie so gesehen gefühlt.

Vier Jahre, ein paar Umwege als Kommunikationslead in einem Berliner Start-up, ein Jahr Arbeitslosigkeit und diverse Selbstzweifel, viele Gespräche mit ungefähr allen Agenturen im DACH-Raum und einige „Soll ich oder soll ich nicht“-Gedanken später fing ich im April 2022 meinen ersten fixen Job in einer Werbeagentur bei Heimat, Berlin an.

„Soll ich oder soll ich nicht‘“ wegen: der Dinge, die man redet über die Kultur in Werbeagenturen. Ich hätte mich nicht für Heimat entschieden, hätte am anderen Ende des Zoom-Calls nicht einfach ein sehr sympathischer Mensch mit Kappe gesessen, der so angenehm anstrengungslos wenig von sich wollte und sich ehrlich interessiert an meinen Gedanken als Mensch gab, dass es mehr Gespräch als Bewerbung war.

Mit zwei Jahren „Zukunft der Arbeit“-Erfahrung im Rücken und einer sehr klaren Meinung zum Thema „Arbeitskultur in Organisationen“ war meine Haltung der klassischen Werbeagentur bzw. veralteten Strukturen gegenüber eher eine abgeneigte.

Und ich wäre, ein Jahr später, nicht mehr hier, hätte sich mein Bauchgefühl in diesem ersten Gespräch nicht bewahrheitet: Die Branche ist voll von Menschen, die wirklich daran arbeiten, mit alten Branchenstigmen zu brechen. Was unsere Industrie gerade vielleicht so spannend macht wie noch nie.

Denn: Es geht nicht mehr – wie wohl früher mal in Agenturen – darum, 18 Stunden am Tag zu arbeiten, die ganze Nacht wach zu bleiben und sein Leben für den Job aufzugeben. Es ist nicht mehr cool, andere kleinzuhalten um sich selbst groß zu fühlen oder zu finden, man ist besser als andere, nur weil man in der Hierarchie einen Jobtitel höher ist. Jobtitel – sie gehören sowieso abgeschafft, wie ich finde. Es ist nicht mehr cool, anderen die Credits zu verwehren oder Leuten die Ideen zu nehmen und so zu tun, als wären es die eigenen. Es ist in meinen Augen ein Fehlglaube, zu denken, dass das, was intern in der Agentur passiert, Wettbewerb ist. Es ist Teamwork! Soll heißen, wir arbeiten miteinander, nicht gegeneinander.

Es geht außerdem nicht mehr darum, sich auf Awards für Fake-Casefilme einen runterzuholen, weil es langweilig geworden ist. Wir haben es nicht mehr nötig.

Vielmehr geht es darum, den Stift wegzulegen, wenns heute einfach nicht geht, und Führungskräfte zu haben, die einem dabei vertrauen. Es geht darum, Spaß zu haben, weil gute Ideen nicht auf Druck alleine im Kämmerchen vorm Laptop zu Hause kommen, aber beim Feierabendbier am Kanal mit guten Menschen. Es geht, so sehr wie noch nie, darum, die eigenen Soft Skills zu pflegen, sich an seine Werte zu erinnern und die Frage nach „Welcher Kreative bist du eigentlich?“ selbstbewusst mit „Was für ein Mensch bist du eigentlich?“ beantworten zu können.

Es geht außerdem darum, das Gefühl zu feiern, Monate danach übergebliebene Stickerreste der ersten Kampagne irgendwo in Prenzlauer Berg zu finden und sich zu erlauben, kurz stolz zu sein, anstatt für immer unzufrieden.

Auch geht es nicht mehr darum, auf Teufel komm raus das Produkt zu verkaufen. Sondern die menschliche Wahrheit hinter dem Produkt zu verkaufen. Menschen inspirieren (Bildung = Inspiration) zu wollen, statt sie zu manipulieren. Und zu verstehen, dass wir gemeinsam die Verantwortung tragen, den öffentlichen Raum mitzugestalten.

Sure, es ist nur Werbung. Und gleichzeitig eben viel mehr als das.
Wie zum Beispiel einer der schönsten Jobs der Welt. Oder Aktivismus. Wenn man so will.

Für einen Menschen wie mich, der insgeheim immer noch gerne glauben würde, Bohemian sei ein Beruf, gibt es (Stand heute) tatsächlich wenig Passenderes.

Und bitte sagt jetzt nicht, ;Werbung ist nicht Kunst, weil …“ – außer, es muss unbedingt sein. Dann let’s discuss. Meine Nummer ist +49 175 199 44 69.

Auf dass ihr also alle in die Werbung geht. Sie braucht euch nämlich.


Mit Bussi


Chiara


Heimat über sich:

Bei HeimatTBWA\ Deutschland arbeiten 300 Menschen in Berlin, Düsseldorf und überall in der Welt. Die bekanntesten Arbeiten entstanden für Marken wie Hornbach, Freie Demokraten, Perwoll, BCG, Gorillas und Smart.