Unser Digital Trend Scout verrät Trends für das Kommunikationsjahr 2023

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Das Kommunikationsjahr 2023 läuft bereits auf vollen Touren. Die meisten Vorhersagen für das „Next Big Thing“ wurden längst getätigt. Aber noch nicht alle. Unser Digital Trend Scout und Senior Social Strategist Daniel Rehn hat noch ein paar Worte für jene, die sich angesichts von immer schneller aufkommenden Hypes fragen, worauf man Augenmerk legen sollte. Spoiler: Es sind nicht nur die Trends, die ein „Schneller. Höher. Weiter“ versprechen.


Daniel, das Netz überschlägt sich seit Monaten in den Diskussionen rund um ChatGPT, DALL-E und anderen KI-basierten Anwendungen, die nun für die breite Masse zugänglich werden. Verändern die neuen Techniken nun wirklich von Grund auf alles?


Ja und nein. Ja, weil wir an eben jenem großen Aufkommen an Gesprächen rund um ChatGPT und Co. sehen, dass ein riesiges Interesse an KI vorhanden ist, das sich hier einmal mehr Bahn bricht. Ehrlicherweise muss man aber auch sagen, dass es vor allem wir Kommunikationsmenschen sind, die diese Diskussionen in unserer Bubble gerade so anheizen.


Wir lieben eben alles Neue.


Und das ist auch gut so. Die Neugier auf das, was in Zukunft möglich sein wird, ist enorm und wir sollten uns auch immer wieder damit beschäftigen. Wir sehen schon jetzt, dass KI-gestützte Tools ganz neue Herangehensweisen zum Erstellen von Texten, Bildern und vielem mehr eröffnen. Zugegebenermaßen sind die erstellen Ergebnisse oftmals auch beeindruckend. Erst recht, wenn man in der Lage ist ein gutes Briefing für die KI aufzusetzen.


Das klingt nach einem „Aber“ …


Solange die Programme ausschließlich bestehende Inhalte aus dem Netz „nur“ neu zusammenfassen, recyceln oder je nach Briefing interpretieren, ist das eben noch nicht ad hoc der Killer sämtlicher Wissensarbeit und Kreativität. Die Richtigkeit von mit KI erstellten Texten muss im journalistischen Bereich zum Beispiel nach wie vor überprüft werden. Ansonsten hat man direkt eine Qualitäts- und Sorgfaltsdebatte zur Hand, wie man jüngst bei CNET sehen konnte.

Per se braucht es eine Transparenz dazu, ob und wie KI bei der Erstellung von Inhalten eingesetzt wurde, wenn diese dann live gehen. Ebenso braucht es aber auch eine Diskussion, ob die Künstler*innen, von denen Generative AI lernt, vergütet werden müssten. Schließlich kopieren die Systeme deren Stile. Da sind wir auch schnell bei ethischen Debatten, was gut und richtig ist, auch wenn es schnelle, billige Ergebnisse verspricht.

Wir lernen gerade sehr frisch den Umgang mit einem neuen, weiteren Werkzeug, das bei richtiger Handhabe ganz viel Potenzial hat. In einem Jahr sind wir diesbezüglich dann aber sicher auch schlauer, um die Alltagstauglichkeit besser bewerten zu können.


Dann überbrücken wir die Wartezeit bis dahin und schauen lieber auf die Trends und Entwicklungen, die für dieses Jahr gelten. Was verrät dir dein Blick in die Kristallkugel?


Dieses Jahr sind meine Beobachtungen beinahe enttäuschend und ernüchternd, fürchte ich. Es sind weniger die Ausblicke auf das, was in den kommenden Monaten oder gar Jahren passiert, als vielmehr drei überordnete Einschätzungen, die unser jetziges Handeln beeinflussen.


Wir sind ganz Ohr.


Beobachtung #1: Die Plattformen stecken in einer anhaltenden Identitätskrise.


Klingt dramatisch. Was meinst du damit genau?


Ich spitze es jetzt bewusst zu: Alle wollen wie TikTok sein. Egal ob Instagram, Facebook oder YouTube, sie alle setzen auf 9 : 16-Video und pushen das sehr unterschiedlich. TikTok möchte im Gegenzug gar nicht mehr Hochkant-Video-only sein, sondern mehr können. Liveformate, Commerce, Messaging … Das ganze Paket.

Twitter ist dank Elon Musk dabei, zu implodieren, und selbst bei LinkedIn merken wir, dass es sich von einer Jobbörse zur Content-Plattform entwickelt hat, die sich allerdings nun eher wie ein zum Instagram-Laufsteg mutierter Büroflur anfühlt. Hauptsache, es gefällt dem Algorithmus und man kann mit Banalitäten Reichweite und Reactions sammeln, die dem wertigen Content den Raum nehmen.

Das Problem, das sich daraus für Marken, Unternehmen wie auch User ergibt: Was heißt das für die eigene Kommunikations- und Content-Strategie, wenn es keine Unterscheidungsmerkmale mehr zwischen den Plattformen gibt? Wenn alle – gezwungenermaßen – eine Marke oder aus User-Sicht eine Personal Brand sind oder sein müssen? Wenn Expertise und „Deep Talk“ von Ads, Inszenierung und Lautstärke übertönt werden?

Und was ist überhaupt noch plattformkonformer Content im richtigen Format? Respektive wie differenzieren sich die Plattformen voneinander, um nicht in einem „One Piece fits all“-Ansatz überall dieselben Inhalte zu spielen, weil es am bequemsten wäre? Siehe das Recycling von TikToks, die als Reel auf Instagram und Short bei YouTube landen, oder Twitter-Screenshots, die unsere Instagram Stories bereichern, usw., usf.


Okay. Kommen wir zur nächsten Beobachtung.


Beobachtung #2, ebenfalls bewusst zugespitzt: Wenn Aufmerksamkeit die Währung unserer Zeit ist, dann ist die Deutungshoheit der Wechselkurs der „Attention Economy“.

In einer von Aufmerksamkeit getriebenen Gesellschaft, die sich immer stärker anhand von Headlines und den ersten Posting-Zeilen vor dem „Mehr anzeigen …“-Umbruch eine Meinung bildet, nutzen Unternehmen und Marken ihre kommunikative Klaviatur im Sinne der Deutungshoheit immer versierter.


Wie zeichnet sich das aus? Noch mehr Beiträge und Ad-Push für Company Posts?


Nicht nur. Aber anstatt sich darauf zu verlassen, dass (Fach-)Medien die eigene Presse- und Kommunikationsarbeit als „Earned Media“ aufgreifen – und „im schlechtesten Fall“ eine eigene, in eine andere Richtung laufende Interpretation darüberstülpen –, werden die Optionen „Owned“ und „Shared“ immer stärker und smarter genutzt. Vorbei an den Gatekeepern, direkt ans interessierte Publikum adressiert. Nicht selten sogar bewusst abseits der offiziellen Unternehmensauftritte.


Inwiefern?


Da wird der vielfach gelikte und kommentierte LinkedIn-Post des klug aufgebauten Social CEO weitaus eher zur Quelle einer Meldung als die offizielle Unternehmens-PM, die als Back-up für die kommunikative Fallhöhe natürlich parallel rausgeht. Es gilt, bei der hohen Taktung an News die Deutungshoheit zu wahren, um das eigene Narrativ und die strategischen Botschaften selbst sauber setzen zu können, statt ein „Lost in Translation“ zu riskieren.

In diesem Sinne ist der anhaltende Trend zu Social C-Leveln und Corporate Influencern und Ambassadors nur logisch, da die allein schon in der Breite besser aufgestellten, personenbezogenen Accounts in den Netzwerken immer besser laufen als die singulären Unternehmensprofile.

Spannend wird es übrigens, wenn Einzelpersonen ihre Reichweiten nutzen, um ihre persönliche Agenda auszuspielen und die eigene Deutungshoheit zu wahren. Siehe die Ankündigung von Tina Müller via LinkedIn, als sie vom Posten des CEO bei Douglas zurücktrat. Ihr Post hat fünf Jahren Erfolgsgeschichte trotz Pandemie einen Rahmen gegeben, der von vielen Medien übernommen wurde.


Dann komplettieren wir das Trio doch.


Beobachtung #3 ist auch keine brandheiße Neuigkeit, aber ein absolutes Muss, wenn wir unser Tun betrachten: Kommunikation wird zur Frage des Vertrauens.

An die vorherige These ebenso anknüpfend wie an die jahrelangen Beobachtungen des Edelman Trust Barometer, des Reuters Institute Digital News Reports, der Meaningful Brand Study u. v. m.: Informationsbeschaffung und Vertrauen in Quellen bleiben elementar, atomisieren sich innerhalb unserer Timelines aber auch immer mehr.

Die Personen-Accounts in oder am Rande der individuellen Filterblase haben als Multiplikatoren und Mittler nicht nur gefühlt immer mehr Gewicht als klassische Corporate oder News-Outlets – sowohl in der eigenen Wahrnehmung wie auch gemäß Newsfeed-Algorithmus. Das erklärt auch die anhaltende Welle an Corporate Influencern, die für ihre Arbeitgebenden Teil der Kommunikation werden, indem sie Einblicke ins Unternehmen geben, um so das Bild zu beeinflussen, das ich von einer Company habe.

Für den Gesamtkontext der (Unternehmens-/Marken-)Kommunikation und PR im Besonderen leitet sich ab, dass wir ein Werben um Vertrauen gegenüber der Öffentlichkeit erleben, um die „License to operate“ weiterhin zu legitimieren. Nur haben wir es in unserer redaktionellen Gesellschaft jetzt mit x Öffentlichkeiten und Audiences gleichzeitig zu tun, die nicht nur Empfänger, sondern auch Absender sind.


Es wird also ganz und gar nicht langweilig …


Nein, definitiv nicht. Aber das macht die Jobs in der Kommunikationsbranche ja auch so spannend 😉