Emina Kapetanovic: Wie Motus Health die Versorgung vor und nach der OP neu definiert
Prähabilitation endlich für Kliniken nutzbar machen – diese Vision treibt Motus Health an. Gründerin und CEO des Start-ups ist Emina Kapetanovic. Sie lebt erst seit kurzem in Deutschland, kann aber bereits beeindruckende Fortschritte vorweisen. Im Interview mit Simeon Atkinson, Co-Founder und Managing Partner von Achtung! InnoHealth, spricht Emina über ihren besonderen Werdegang und verrät, wie Motus Health die Prähabilitation für Kliniken in Angriff nimmt.
Emina, deine Geschichte als Gründerin im Gesundheitswesen begann vor ein paar Jahren, als dein Vater einen schweren Schlaganfall erlitt. Welche Erfahrungen hast du damals gemacht?
Wie die meisten Notfälle kam auch dieser aus dem Nichts. Krankheiten gehören zu den Dingen, von denen man weiß, dass es sie gibt, aber man hat immer das Gefühl, dass es nur andere trifft – bis es dann doch passiert. Als mein Vater zu Beginn der Pandemie einen Schlaganfall erlitt, waren wir völlig unvorbereitet. Niemand in unserer Familie hatte einen medizinischen Hintergrund, und plötzlich ertranken wir in medizinischem Fachjargon, überforderten Ärzt*innen, finanziellem Stress und ständiger Angst vor dem, was als Nächstes kommt. Ich hatte das Gefühl, ihn im Stich zu lassen, und das Einzige, was ich zu bieten hatte, war meine Kreativität. Also entwickelte ich eine digitale Lösung, um einen individuellen Therapieplan für meinen Vater zu erstellen und seine Fortschritte zu verfolgen. Ein allgemeiner Ansatz, der für alle passt, war mir nicht gut genug, ich wollte etwas Einzigartiges für ihn. Zuerst behielt ich es für mich. Über ernste Gesundheitsprobleme zu sprechen, ist ein großes Tabu. Die Leute haben Mitgefühl, aber plötzlich wird man als jemand gesehen, der einem leidtut, und nicht mehr als man selbst. Aber als ich schließlich offen darüber gesprochen habe, woran ich arbeite, änderte sich alles. Andere in ähnlichen Situationen haben sich gemeldet, aus allen Richtungen boten sich Möglichkeiten. Dieser Moment der Offenheit hat meinen gesamten Werdegang verändert. Was als Hilfsmittel für meinen Vater begann, wurde zu etwas Größerem – eine Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen, anderen zu helfen und den Schmerz in etwas Kraftvolles zu verwandeln.
Um eine Lösung zu entwickeln, von der viele profitieren können, bist du mit einem Studentenvisum aus Bosnien nach Deutschland gekommen. Warum hast du dich für Deutschland entschieden?
Als ich die Chance erhielt, Motus in Deutschland aufzubauen, habe ich keine Sekunde gezögert. Es ergab Sinn, denn Deutschland ist ein Vorreiter im digitalen Gesundheitswesen wie nur wenige andere Länder. Aber es war nicht einfach. Ich sprach kein Deutsch, kannte niemanden und musste meine gesamten sozialen Kontakte hinter mir lassen. Was es möglich machte, war das Vertrauen in mich selbst und das Vertrauen, dass meine Mitstreiter*innen mir den Rücken freihalten.
Ich habe mich für ein Studentenvisum entschieden – nicht nur als Mittel zum Zweck, sondern weil die Fortsetzung meiner Ausbildung nicht verhandelbar war. Ich wollte alles über das deutsche Gesundheitswesen wissen und das System von innen heraus verstehen. Das Visumverfahren selbst? Endlos. Bürokratisch. Frustrierend. Während ich darauf wartete, dass das Visum erteilt wurde, machte ich mehrere Reisen nach Köln, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was mich erwartete.
Wie lange hat es dann gedauert, bis du Motus Health gegründet hast?
Es ist schwierig, den genauen Zeitpunkt zu bestimmen, weil die Idee sich organisch weiterentwickelt hat. Die Reise verlief alles andere als linear. Die Übersiedlung nach Deutschland und der Startschuss für die Gründung eines Unternehmens waren ein Marathon für sich. Aus meiner Perspektive betrachtet, ging es Ende 2020 richtig los, als ich die Unterstützung von Partnern und dem deutschen Start-up-Ökosystem erhielt. Zu diesem Zeitpunkt begannen die gemeinsamen Bemühungen, die endlosen Schichten der Bürokratie zu bewältigen.
Ende 2022 erhielt ich schließlich die Genehmigung, nach Köln zu ziehen und mich dort niederzulassen. Im Juni 2023 starteten wir offiziell als GmbH. Rückblickend war vieles in der Schwebe, bis das Unternehmen offiziell gegründet war, aber das Fundament, das wir in diesen frühen Jahren gelegt haben, hat den Unterschied gemacht. Wenn wir jetzt auf unser erstes Jahr zurückblicken, ist es unglaublich, wie schnell sich die Dinge entwickelt haben.
Obwohl du mit 26 Jahren eine sehr junge Gründerin bist, hast du gemeinsam mit deinem Co-Founder Kenan ein beeindruckendes Team mit viel Branchenerfahrung aufgebaut. Peter Salathe ist Leiter Geschäftsentwicklung und Dr. Georg Langebartels ist Ärztlicher Leiter, dazu kommen namhafte Investor*innen. Wie hast du das geschafft?
Mein Co-Founder Kenan und ich waren uns von Anfang an einig: Wenn wir das Gesundheitswesen revolutionieren wollen, müssen wir uns mit Menschen umgeben, deren Erfahrung, Vision und Werte dazu passen, was wir aufbauen wollen. Das war eine schwierige Aufgabe, denn diese Glaubwürdigkeit war eine Herausforderung und hart erarbeitet. Also beschlossen wir, uns auf etwas zu konzentrieren, das größer ist als wir selbst – unsere Vision. Als wir Motus vorstellten, konzentrierten wir uns nicht nur auf das, was wir aufbauen, sondern auch auf das Warum.
Einen Chief Medical Officer zu finden, der sich in der Medizintechnik, im Ökosystem des Gesundheitswesens und im klinischen Umfeld auskennt, war der entscheidende Schritt, der zu diesem Zeitpunkt unmöglich schien. Als wir Georg zum ersten Mal trafen, war er nicht nur sehr beeindruckend, er hat uns auch mit seinem Einfühlungsvermögen und seinem auf den Patienten oder die Patientin ausgerichteten Ansatz überwältigt.
Das letzte Teammitglied war Peter Salathe. Mit seiner tiefgreifenden Kenntnis der Krankenkassenlandschaft war Peters Wissen über Finanzierungstrukturen und Erstattungsmechaniken von unschätzbarem Wert. Aber was wirklich herausstach, war seine Vision. Er sah nicht nur, was das Gesundheitswesen heute ist, sondern auch, was es morgen sein könnte.
Als CEO bist du auch das Gesicht von Motus. Was ist dein Geheimtrick, um dir bei gestandenen Krankenhaus-Entscheider*innen Respekt zu verschaffen?
Ich bin der festen Überzeugung, dass es keine Taktik geben sollte, um sich Respekt zu verschaffen. Man ist, wer man ist, und man bringt das mit, was man hat. Medizinische Fachkräfte – unabhängig von ihrer Rolle im System – verbringen Jahre mit dem Studium, arbeiten endlose Schichten und sind mit jeder Art von menschlichem Verhalten konfrontiert, die man sich vorstellen kann. Sie wollen nicht beeindruckt, sondern verstanden werden.
Für mich bedeutet das, dass ich mit Bescheidenheit und Konzentration auftrete. Ich bereite mich gründlich vor, höre aufmerksam zu und gehe immer sofort auf ihre Anliegen ein. Ich habe keine Angst zuzugeben, wenn ich etwas nicht weiß. Stattdessen ziehe ich den oder die richtige*n Teamkolleg*in hinzu, um das Problem zu lösen, denn Führung bedeutet nicht, alle Antworten zu haben, sondern dafür zu sorgen, dass die richtigen Antworten gefunden werden.
Wer dich kennenlernt, ist schnell von deiner Tatkraft beeindruckt. Du bist Optimistin und arbeitest hart. Wie entscheidend ist diese Mentalität für deine Rolle im Team Motus?
Ehrlich gesagt bin ich von Natur aus ein optimistischer Mensch. Aber das Unternehmertum hat diesen Optimismus herausgefordert. Es ist nicht immer glamourös. Eines der Dinge, die mir ein Investor beigebracht hat, war, dass man in einem Moment an der Spitze der Welt steht und im nächsten auf dem Grund des Marianengrabens. Der Schlüssel liegt nicht darin, am Optimismus festzuhalten, sondern neutral zu bleiben und sich nicht von den Extremen leiten zu lassen.
Wenn andere von mir erwarten, dass ich weiß, was als Nächstes kommt, würde Panik zu Chaos führen. Gelassenheit schafft Vertrauen. Ich habe gelernt, dass ich nicht alle Antworten haben muss, sondern dass ich mich auf mein Team stützen, seinem Fachwissen vertrauen und mich auf umsetzbare nächste Schritte konzentrieren muss.
Du bist auch ehrgeizig. Dein Ziel ist es, ein ganzes Ökosystem von Prähabilitationslösungen anzubieten. Wie würdest du eure Vision beschreiben?
Unsere Vision ist es, Prähabilitation und Rehabilitation neu zu definieren, indem wir sicherstellen, dass sie für alle Menschen als Grundrecht und nicht als Luxus zugänglich sind. Die Prähabilitation ist eines der am wenigsten genutzten Instrumente der modernen Medizin. Dabei ist ihr Potenzial zur Verbesserung der Ergebnisse, zur Verringerung von Komplikationen und zur Optimierung der Ressourcen immens. Unser Ziel ist es, die Frührehabilitation personalisiert, datengesteuert und skalierbar zu machen. Durch die Kombination von patientenspezifischen Programmen mit Echtzeit-Einblicken für Gesundheitsdienstleister wird unser Ökosystem eine bessere Entscheidungsfindung ermöglichen und in jeder Phase der Behandlung einen messbaren Mehrwert bieten. Dabei geht es nicht nur darum, einen Teil des Prozesses zu verbessern, sondern die Art und Weise, wie Prähabilitation in der gesamten Branche durchgeführt und priorisiert wird, grundlegend zu verändern. Unsere Vision ist es, auch in der Reha Fuß zu fassen und ein nahtloses, vernetztes Kontinuum der Versorgung zu schaffen, das Patient*innen vor, während und nach der Behandlung unterstützt.
Wie jedes Start-up müsst ihr möglichst schnell euren Product-Market-Fit finden. In Kürze werden mehrere deutsche und ein internationales Krankenhaus mit der Erprobung eurer Software beginnen. Welche Erkenntnisse wollt ihr dabei sammeln? Und wie soll es dann weitergehen mit Motus Health?
Die Zusammenarbeit mit diesen Krankenhäusern ist für uns absolut unbezahlbar. Nur selten haben Start-ups die Möglichkeit, so eng mit Endanwender*innen zusammenzuarbeiten und gleichzeitig ihr Produkt auf den Markt abzustimmen. Wir haben Motus Health von Anfang an als hochgradig skalierbare Lösung konzipiert, weil wir wissen, dass Anpassungen und Umstellungen unvermeidbar sind. Durch diese Tests wollen wir Daten zu jedem Aspekt der User Experience sammeln: was funktioniert perfekt, was verursacht Reibung und welche Funktionen fehlen uns noch? Wir suchen aber auch nach Mustern. Wir wollen nicht nur die spezifischen Bedürfnisse der einzelnen Krankenhäuser verstehen, sondern auch, wo sich ihre Problembereiche überschneiden. Dies hilft uns, eine Matrix der dringendsten und brennendsten Probleme zu erstellen, so dass wir die Lösung der wichtigsten Probleme priorisieren können. Von dort aus ist der Weg klar: Wir verbessern die Lösung auf der Grundlage von Erkenntnissen aus der Praxis, skalieren sie effektiv und ermöglichen es Krankenhäusern auf der ganzen Welt, eine bessere und schnellere Versorgung zu leisten.