"Wer einen echten Mehrwert von digitalen Diensten spürt, wird diese auch nutzen."
"Wer einen echten Mehrwert von digitalen Diensten spürt, wird diese auch nutzen."
Christian Hälker verantwortet die Digitalisierung der privaten Krankenversicherungen. Er ist ein versierter Telematikinfrastruktur-Experte, leidenschaftlicher Digitalisierungs-Enthusiast und Lobbyist. Im Healthcare Innovators Interview erklärt er, wie sich die PKV für Digitalisierung im Gesundheitswesen einsetzt – und was ihn dabei persönlich antreibt.
Herr Hälker, was kann die private Krankenversicherung dafür tun, dass unser Gesundheitswesen ein digitales Update bekommt?
Die private Krankenversicherung ist eine wesentliche Stütze der hervorragenden Gesundheitsversorgung in Deutschland. Wir bieten unseren Versicherten eine moderne Versorgung und die Teilnahme am medizinisch-technischen Fortschritt. Dieser Anspruch gilt selbstverständlich auch für digitale Lösungen. Als Gesellschafter der Nationalen Agentur für Digitale Medizin – der gematik – tragen wir dazu bei, die Telematikinfrastruktur (TI) aufzubauen. Wir wollen den Versicherten einen einfachen und zugleich sicheren Zugang zu digitalen Services ermöglichen, die ihre Gesundheit unterstützen. Dabei bieten wir komfortable und zukunftsfähige, vollständig digitale Lösungen. So setzen wir für Privatversicherte ausschließlich auf den digitalen Zugang zu den Anwendungen der TI in den Apps und Portalen unserer Mitgliedsunternehmen.
Wie tragen Sie ganz persönlich dazu bei, wie sehen Ihre täglichen Aufgaben aus?
Im deutschen Gesundheitswesen gibt es viele unterschiedliche Interessen. Das stellt den digitalen Wandel vor große Herausforderungen. Auf Kosten von innovativen Lösungen wird sich häufig auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt. Meine Aufgabe ist es, die verschiedenen Stakeholder zu gewinnen und zu motivieren, Lösungen für die private Krankenversicherung auf den Weg und letztlich in die Versorgung zu bringen.
Deutschland ist bei der Digitalisierung leider oft noch sehr bürokratisch – zum Beispiel im Hinblick auf fragmentierte Verantwortlichkeiten zwischen dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG), der gematik sowie dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI). Diese Konstellationen führen uns teilweise in sehr bürokratische Lösungen, die von Nutzer*innen wegen schlechter Usability abgelehnt werden. Datenschutz und Datensicherheit dürfen nicht vernachlässigt werden, aber andere Länderhaben hier schlankere Konzepte, die nicht weniger sicher sind und die Akzeptanz der Nutzer*innen finden.
Sie sind in Ihrer Rolle seit Jahren nah dran – nicht nur an der Politik, sondern auch an der gematik. Hier war die PKV zwischenzeitlich komplett ausgestiegen. Jetzt ist die PKV mit einem Anteil von 2,45 Prozent wieder zurück im Gesellschafterkreis. Welchen Unterschied macht das für Ihre Arbeit?
Die Politik hat in der vergangenen Legislaturperiode die politischen Weichen für eine erfolgreiche Digitalisierung des Gesundheitswesens gestellt. Die gematik wurde als Nationale Agentur für Digitale Medizin endlich professionell aufgestellt und geführt. Deshalb haben wir uns für den Wiedereinstieg in die gematik entschieden. Als gematik-Gesellschafter tragen wir dazu bei, eine moderne und sichere TI aufzubauen.
Natürlich stellte sich die Frage, wie wir unsere Vorstellungen mit einem Gesellschafteranteil von lediglich 2,45 Prozent einbringen können. Uns wurde schnell klar, dass in den Umsetzungsplänen der gematik wenig Raum für Themen ist, die sich nicht in einem Gesetz wiederfinden. Dadurch entstehen Hürden, weil die PKV in den für die gematik relevanten Gesetzen wie dem SGB V kaum auftaucht. Die gesetzliche Verankerung der Themen ist deshalb immer wieder eine Herausforderung. Doch wir haben bisher immer Lösungen mit dem BMG und der gematik gefunden. Dies verdanken wir natürlich auch den anderen Gesellschaftern der gematik, die uns in vielen Situationen maßgeblich unterstützt haben.
Das erste E-Rezept in der PKV gab es im September 2023. In der GKV waren es schon ein Jahr vorher Hunderttausende. Warum ist die PKV manchmal später dran? Ist das ein dauerhaftes Phänomen?
Zum einen mussten wir in kurzer Zeit die Basis schaffen, die die GKV über viele Jahre bereits geschaffen hatte. Für das E-Rezept müssen alle Privatversicherten eine Krankenversichertennummer (KVNR) erhalten. Leider fehlt es hier noch immer an der Unterstützung des Gesetzgebers. Anders als die gesetzlichen Krankenkassen dürfen unsere Mitgliedsunternehmen die KVNR nicht automatisch an ihre Versicherten vergeben. Stattdessen muss jede*r einzelne Versicherte umständlich angeschrieben und um Zustimmung gebeten werden. Ein weiteres Beispiel für teure und unnötige Bürokratie im deutschen Gesundheitssystem.
Zum anderen haben wir auf die neuen Technologien, wie zum Beispiel die digitalen Identitäten der gematik, warten müssen. Die Konzeption und Abstimmung mit dem BSI und BfDI haben länger gedauert als geplant.
Für die private Krankenversicherung gibt es keine terminlichen Vorgaben für die Einführung der Telematikinfrastruktur und ihrer Anwendungen. Unsere Mitgliedsunternehmen schauen deshalb in erster Linie darauf, welche Vorteile die Anwendungen den Versicherten bringen. Wir sind überzeugt: Wer einen echten Mehrwert von digitalen Diensten spürt, wird diese auch nutzen. Beim E-Rezept war der Mehrwert schnell ersichtlich. Bei der elektronischen Patientenakte wird das erst mit der „ePA für alle“ der Fall sein. Aus diesem Grund werden die PKV-Unternehmen im nächsten Jahr die Anwendungen der gematik anbieten.
Manche Krankenkassen bzw. Krankenversicherungen legen besonderen Wert darauf, so oft wie möglich die Ersten bei digitalen Innovationen zu sein. Welche Rolle spielt Digitalisierung generell im Wettbewerb zwischen den Krankenkassen?
Die PKV versteht sich als Innovationsmotor – auch bei der Digitalisierung. Im Wettbewerb um die besten Lösungen bringen wir das Gesundheitswesen voran. Wir wollen nicht das Gleiche wie die GKV anbieten, sondern mehr. Bei den Anwendungen der Telematikinfrastruktur sind Wettbewerbsvorteile allerdings nur von kurzer Dauer und somit kaum vorhanden. Dies würde ich Ihnen gerne an einem Beispiel aufzeigen. Seit Mitte des Jahres gibt es das E-Rezept in der App der elektronischen Patientenakte. Diese Lösung wurde für eine Kasse entwickelt und von dieser Anfang Juni 2024 auf den Markt gebracht. Die Lösung wurde explizit nur für diese Kasse entwickelt und durfte nicht anderweitig verwendet werden. Schon im Juli 2024 launchte die nächste Kasse die identische Lösung – wieder ausgestattet mit einem exklusiven Nutzungsrecht. Und zwei Wochen später kam dann die dritte Kasse mit der Lösung auf den Markt. Kosten und Nutzen, insbesondere mit Blick auf den Wettbewerb, stehen in keinem Verhältnis. Bringen wir es auf den Punkt: Hier wurden Gelder der Versicherten verbrannt.
Es gibt seit 2019 die Möglichkeit, dass Kassen und Versicherungen auch in digitale Innovationen investieren. Wie wird das umgesetzt?
Der PKV-Verband hat mit Heal Capital einen der Wagniskapitalfonds für digitale Gesundheitsinnovationen initiiert. Das Ziel: die medizinische Versorgung für alle Versicherten zu verbessern und die Digitalisierung vorantreiben. Mehr als 20 private Krankenversicherer haben über 200 Millionen Euro in Heal Capital investiert. Der Fonds fördert innovative Geschäftsmodelle an der Schnittstelle zwischen Gesundheitswesen und Technologie. Heute zählt Heal Capital zu den größten VC-Fonds in Europa. Aktuell bestehen 18 Beteiligungen an jungen Healthtech-Unternehmen aus den Bereichen Diagnostik, Therapie und Infrastruktur.
Es mangelt also nicht an digitalen Innovationen. Diese Innovationen in die Versorgung zu bringen, ist häufig die große Herausforderung. Insbesondere dann, wenn sie über Jahrzehnte gewachsene Prozesse im Gesundheitswesen in Frage stellen, verändern oder komplett auflösen.
Wer mit Ihnen spricht, merkt: Digital Health ist Ihnen ein echtes Anliegen. Woher kommt das?
Als Erstes vielleicht: Wenn ich nicht in die BWL-Schiene abgerutscht wäre, hätte ich mir auch gut vorstellen können, Medizin zu studieren.
Als Zweites: die Kontakte mit dem deutschen Gesundheitswesen. Nehmen wir als Beispiel einen Krankenhausaufenthalt. Viele Daten werden mehrfach erhoben, wenn ich so an den Anamnesebogen denke. Pro Abteilung ein Fragebogen und häufig in Papierform. Am besten dann noch die Patientenakte in der Hand der Patienten oder des Patienten, mit der er oder sie von Station zu Station wandert. Derartige analoge Prozesse möchte ich gerne modernisieren.
Die Digitalisierung kann helfen, insbesondere die Verwaltungsprozesse im Gesundheitswesen zu automatisieren. Ärzt*innen verbringen viel Zeit mit administrativen Prozessen, die letztendlich für Patient*innen fehlt.
Als Drittes können digitale Lösungen Menschen in abgelegenen Regionen oder mit einem eingeschränkten Zugang zu traditionellen Gesundheitseinrichtungen, zum Beispiel mit Hilfe der Telemedizin, einen besseren Zugang zur Versorgung ermöglichen.
Darüber hinaus müssen wir die Versorgung verbessern, indem wir eine gute Datenbasis für Forschungszwecke bekommen. Gerade die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie abhängig wir von Daten anderer Länder oder Staaten sind.
Leider sind wir im Hinblick auf Europa ein Schlusslicht bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Ich bin davon überzeugt, dass wir nur mit der Digitalisierung die zukünftigen Herausforderungen meistern werden. Und es ist heute an der Zeit, die Weichen dafür zu stellen.