"Eine moderne Interessensvertretung ist kollaborativ"
Im Interview: Dr. Anne Sophie Geier, GF des Spitzenverbandes Digitale Gesundheitsversorgung e.V. (SVDGV)
„Die digitale Gesundheitsversorgung ist kein Nice-to-have, sondern zentraler Bestandteil einer modernen, effizienten Versorgung“, so betont es Dr. Anne Sophie Geier. Im Gespräch schildert sie Ansätze und Themen des Verbandes sowie deren effiziente digitale Zusammenarbeit.
Anne, du bist seit vier Jahren Geschäftsführerin des Spitzenverbandes Digitale Gesundheitsversorgung (SVDGV). Was genau macht der Verband und wie hat sich diese Arbeit des SVDGV in dieser Zeit verändert?
Der SVDGV wurde gegründet, um eine zentrale Plattform für die verschiedenen Akteure im Bereich der digitalen Gesundheitsversorgung zu schaffen. Unser Fokus liegt dabei auf Themen wie Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA), Telemedizin, digitale Pflege und Prävention sowie weiteren Innovationen im Gesundheitswesen. Von Anfang an haben wir uns intensiv in der politischen und fachlichen Debatte positioniert, indem wir Arbeitskreise organisiert, Positionspapiere erarbeitet und Webinare sowie Netzwerkveranstaltungen angeboten haben. Ein großer Schwerpunkt unserer Arbeit liegt darin, die verschiedenen Anbieter miteinander zu vernetzen und gemeinsam Lösungen zu entwickeln.
Die Entwicklung des Verbands in den letzten drei Jahren war dabei sehr dynamisch. Innerhalb dieser Zeit sind wir von null auf 170 Mitglieder gewachsen. Diese schnelle Expansion war mit einer intensiven Phase des Aufbaus verbunden. Es ging zunächst darum, die richtigen Strukturen zu schaffen, um dem wachsenden Bedarf gerecht zu werden. Inzwischen hat sich der Verband konsolidiert, und die Strukturen haben sich gefestigt. In den Anfangsjahren habe ich viele Arbeitskreise noch selbst geleitet, heute übernehmen das vielfach unsere Mitglieder im Ehrenamt. Ihr Engagement ist ein wesentlicher Teil des Erfolgs.
Dir sind eine moderne Interessensvertretung und „evidence-based Policy“ wichtig. Was heißt das?
Für uns ist eine moderne Interessenvertretung vor allem kollaborativ. Das heißt, wir arbeiten eng mit unseren Mitgliedern und Partnern zusammen und setzen auf moderne Tools, um die Zusammenarbeit zu erleichtern. So nutzen wir zum Beispiel Slack als Kommunikationsplattform, auf der rund 900 Mitglieder aktiv sind. Auch Tools wie Google Sheets helfen uns, die Arbeit effizienter zu organisieren. So können wir mit unseren vorhandenen personellen und finanziellen Ressourcen viel bewegen. Besonders wichtig ist bei uns auch das Arbeiten mit klar definierten Zielen. Das OKR-Framework (Objectives and Key Results) hilft uns, unsere Ziele datenbasiert zu verfolgen.
Wenn es um unsere Politikberatung geht, setzen wir neben klassische Formaten wie Positionspapieren auch auf Umfragen. Wir wollen nicht nur Meinungen formulieren, sondern auch mit handfesten Daten und Fakten argumentieren, die unsere Positionen untermauern. Das schafft Vertrauen und sorgt dafür, dass unsere Argumente in der politischen Debatte besser Gehör finden.
Wie funktioniert Aufklärungsarbeit jenseits des politischen Raums? Im DiGA-Report (2023) heißt es, es braucht eine flächendeckende Aufklärung für digitale Therapien. Wer kann diese Aufgabe übernehmen?
Das ist tatsächlich eine der größten Herausforderungen. Allein als Verband können wir diese Aufgabe nicht stemmen. Wir klären über das Thema bei verschiedenen Akteuren auf, zum Beispiel bei Kongressen und weiteren Veranstaltungen. Allerdings sehen wir auch, dass verschiedene Informationskanäle hilfreich sind – und dass es vor allem nicht nur der Bereich der digitalen Therapien ist, wo noch viel Aufklärungsbedarf besteht. Das trifft ebenso auf weitere große Vorhaben wie die elektronische Patientenakte, den Teleinfrastruktur-Messenger oder die Gesundheits-ID zu.
Du hast selbst einen Doktor in Pharmazie. Was für Rahmenbedingungen braucht es, damit Apotheken die digitale Versorgung voranbringen können?
Ich bin fest davon überzeugt, dass Apotheken in Zukunft eine wichtige Rolle als hybrider Anker der digitalen Gesundheitsversorgung spielen können. Sie sind flächendeckend in Deutschland vertreten und haben das Potenzial, eine niedrigschwellige Anlaufstelle für Patient*innen zu werden, die digitale Versorgungsangebote nutzen möchten. Spannend ist, dass der aktuelle Kabinettsentwurf für das „Gesundes-Herz-Gesetz“ vorsieht, dass Apotheken allgemein über Digitale Gesundheitsanwendungen und digitale Präventionsangebote bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen informieren sollen.
Damit das funktioniert, müssen aber einige Voraussetzungen geschaffen werden. Die große Frage ist, wie eine solche Leistung vergütet wird. Ohne eine klare Regelung hierzu, werden Apotheken kaum die Ressourcen haben, diese zusätzlichen Aufgaben zu übernehmen. Auch Schulungen sind ein wichtiger Aspekt. Apotheker*innen und ihre Teams müssen auf die digitalen Themen vorbereitet werden.
Zudem gibt es noch weitere spannende Entwicklungen, wie zum Beispiel die Telepharmazie und die assistierte Telemedizin. Apotheken könnten hier ebenfalls eine wichtige Rolle spielen und selbst Teil der digitalen Versorgung werden, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.
Raus aus der Apotheke, rein in die Arztpraxis. Es gibt immer mehr Ärzt*innen, die sich an der digitalen Versorgung beteiligen, etwa durch das Verordnen von Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs). Was tut der SVDGV, um das zu fördern?
Wir haben eine eigene Schulungsplattform ins Leben gerufen, die speziell auf die Bedürfnisse von Ärzt*innen abgestimmt ist. Diese Plattform bietet CME-zertifizierte Fortbildungen. Dort können sich Ärzt*innen gezielt im Bereich der digitalen Gesundheitsversorgung weiterbilden. Die Resonanz darauf ist bisher sehr positiv und wir sehen, dass der Bedarf an Fortbildungen in diesem Bereich weiter wächst. Es wäre großartig, wenn auch andere Berufsgruppen im Gesundheitswesen – etwa die Pflege – ähnliche Schulungsangebote bekommen.
Das Ziel des SVDGV sind gute Rahmenbedingungen für die digitale Versorgung. Wie schaut die Politik auf dieses Thema?
Digitalisierung im Gesundheitswesen ist eher ein Nischenthema in der politischen Debatte. Es gibt Politiker*innen, die sich intensiv mit der Materie beschäftigen. Oft stehen allerdings Themen wie Krankenhausschließungen oder andere akute Probleme in den Wahlkreisen mehr im Vordergrund, weil sie medial präsenter sind und für größere Schlagzeilen sorgen.
Unser Ziel ist es, dass die Digitalisierung der Gesundheitsversorgung und der Pflege konsequent in allen gesundheitspolitischen Entscheidungen mitgedacht wird. Sie ist kein Nice-to-have, sondern ein ganz zentraler Bestandteil einer modernen, effizienten Versorgung.