Warum Lindera die Gesundheitsversorgung revolutioniert

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„Netflix können wir später schauen“

Diana Heinrichs hat einen gut bezahlten Tech-Job bei Microsoft aufgegeben, um mit Lindera die Pflegebranche zu verändern. Ihr Ziel: Stürze im Alter mithilfe von KI verhindern und so Krankenhausaufenthalte vermeiden. Doch der Weg für digitale Innovationen im Gesundheitswesen ist steinig – von regulatorischen Hürden bis zu träge agierenden Behörden. Warum sie trotzdem nicht aufgibt, welche Vision sie für 2025 hat und was hinter Linderas neuem Patent steckt, erfahrt ihr im Interview.

Diana, du hast einen gut bezahlten Tech-Job bei Microsoft aufgegeben, um Lindera zu gründen. Was gab den Anstoß?

Es waren drei zentrale Gründe.

Erstens habe ich mich gefragt, warum wir in Europa bei Top-Technologien immer nur die Vertriebsorganisationen haben, aber wenig eigene Entwicklung. Zum Beispiel hatte ich in meiner Zeit bei Microsoft die Gelegenheit, gemeinsam mit Satya Nadella an bahnbrechenden KI-Demos in Los Angeles mitzuwirken, konkret ging es um ein simultanübersetzendes System, das Deutsch in Echtzeit verarbeiten konnte. Diese Technologie wurde weltweit wahrgenommen. Aber warum entsteht so etwas nicht hier in Europa? Wir haben das Talent und die Ideen, also sollten wir es zumindest versuchen.

Zweitens habe ich in der Tech-Branche beobachtet, dass viele mit 40 Jahren nicht mehr glücklich sind. Die Karrierewege jenseits vom Headquarter haben ihre Grenzen, also entweder umziehen oder selbst gründen. Ich wollte etwas aufbauen, das langfristig nicht nur mir, sondern auch anderen Menschen nützt.

Der dritte Grund war sehr persönlich. Meine Mutter hat ihre Mutter, also meine Großmutter, gepflegt. Trotz der begrenzten finanziellen Mittel – meine Großmutter hatte nur 900 Euro Rente – funktionierte die Organisation mit einer Pflegekraft und viel Eigeninitiative wunderbar. Dabei wurde mir klar: Das Hauptproblem im Alter sind oft Stürze und die Angst davor. Sie sind nicht nur ein großes gesundheitliches Risiko, sondern auch ein enormer Kostentreiber. Mit der richtigen Technologie, insbesondere KI, können wir dieses Risiko drastisch reduzieren.

Inzwischen ist KI omnipräsent. Das war in der Gründungszeit von Lindera noch nicht so. Wie wurde eure Technologie 2017 aufgenommen?

Klar, 2017 war KI noch nicht das Gesprächsthema, das es heute ist. Trotzdem haben wir von Anfang an viel Unterstützung bekommen. Besonders Sozialversicherungsträger, etwa aus dem Umfeld der AOKen und Betriebskrankenkassen, haben unser Projekt mit großem Interesse begleitet. Das war enorm ermutigend.

Aber es gab auch Herausforderungen. Pflegeeinrichtungen standen und stehen unter einem enormen finanziellen Druck. Wir mussten nicht nur die technologischen Vorteile unserer Lösung erklären, sondern auch den wirtschaftlichen Mehrwert für das System aufzeigen. Dabei haben wir gelernt, dass es nicht reicht, eine Innovation zu entwickeln – sie muss auch in bestehende Strukturen passen und diese sinnvoll verändern. Das begleitet uns bis heute.

Zu den bestehenden Strukturen zählen auch die Monetarisierungswege. Euer Antrag auf Erstattungsfähigkeit als Digitale Pflegeanwendung (DiPA) wurde abgelehnt. Wo liegt das Problem?


Das Gesetz für Digitale Pflegeanwendungen ist gut gemeint und klar formuliert. Die Anwendung des geltenden Rechts gestaltet sich offenbar schwierig. Die zuständige Behörde hat, obwohl es noch keine DiPA weltweit gibt, eigene Produktvorstellungen ex-ante entwickelt. Das ist nicht die Aufgabe einer Behörde. Dann werden Pharmamaßstäbe angelegt, obwohl klar ist, dass Pflege keine heilbare Krankheit ist. Es geht darum, das fragile Setting zu Hause zu stabilisieren – so will es das Gesetz.

Wir haben uns vorab von der Behörde kostenpflichtig beraten lassen, dies schriftlich abgestimmt und daraufhin anschließend viele hunderttausend Euro in eine Studie investiert. Genau diese Beratung wird jetzt gegen uns verwendet.

Ein weiteres Problem sind die Bearbeitungszeiten. Gesetzliche Fristen werden häufig nicht eingehalten und das schafft Unsicherheit. Dabei wollen wir keine Sonderbehandlung – wir möchten einfach ein faires Verfahren nach geltendem Recht.

Würdest du anderen raten, es trotzdem mit einer DiPA-Zulassung zu versuchen?


Aufgeben ist für mich keine Option. Wir müssen etwas ändern, damit sich am Wirtschaftsstandort Deutschland etwas bewegt. Dazu gehört auch, immer wieder den Dialog suchen, neu antreten und konkrete Vorschläge machen. Das machen wir und das empfehle ich jedem – Netflix können wir später schauen.

Schauen wir auf positivere Nachrichten: Im Januar 2025 gab es ein zweites Patent für Lindera – Glückwunsch! Was hat es damit auf sich?


Danke. Unser zweites Patent ist ein Meilenstein, weil es den Anwendungsbereich unserer Technologie verbessert. Dabei geht es um den Soll-Ist-Abgleich bei Bewegungsübungen. Unsere Bewegungsanalyse arbeitet mit der normalen Kamera eines Smartphones und erreicht dabei die Genauigkeit eines professionellen Ganglabors. Das ist nicht nur ein technologischer Fortschritt, sondern auch ein entscheidender Schritt in Richtung breiter Anwendung.

Ein Beispiel: Kniebewegungen sind so einzigartig wie ein Fingerabdruck. Mit unserer Technologie können wir diese Bewegungen extrem genau messen und daraus wertvolle Erkenntnisse gewinnen – sei es für die Reha, Verlaufskontrollen oder präventive Diagnosen. Das Patent zeigt, dass wir innovative Ideen haben und auch die wissenschaftliche Expertise, um sie umzusetzen.

Ihr wollt damit die Gesundheitsversorgung besser und gleichzeitig besser bezahlbar machen. Wie gelingt das?


Unser Fokus liegt auf der Vermeidung unnötiger Krankenhausaufenthalte und der Verbesserung geriatrischer Versorgung. Zum Beispiel können wir aus der Analyse von Bewegungsdaten ableiten, welche Versorgung wirklich notwendig ist. So lassen sich teure Maximalinterventionen vermeiden, die oft nicht den gewünschten Effekt haben.

Noch konkreter: Durch die Auswertung unserer Bewegungsdaten können wir erkennen, ob ein älterer Mensch ein erhöhtes Sturzrisiko hat. Statt auf Verdacht einen teuren Krankenhausaufenthalt zu initiieren, können gezielte Maßnahmen wie Physiotherapie oder der Einsatz von Hilfsmitteln eingeleitet werden. Das spart natürlich Kosten und erhöht auch die Lebensqualität der Betroffenen.

Mit Blick auf die nächsten Monate: Was erwartest du für 2025 und darüber hinaus?


Die Sozialbeiträge steigen, und viele Pflegeeinrichtungen stehen wirtschaftlich unter Druck. Gepaart mit dem demographischen Wandel ist das ein Schreckensszenario. Gleichzeitig glaube ich, dass wir in Deutschland zu stark in linearen Prognosen denken. Das setzt sich nicht einfach linear fort. Im Jahr 1910 hat man vorgerechnet, dass wir alle am Pferdemist ersticken – stattdessen ist die deutsche Autoindustrie entstanden.

Wir haben jetzt eine fragile, auch eine politisch fragile Situation. Wir wissen also nicht, in welche Richtung es aufbrechen wird. Aber eins ist klar: Veränderung bedeutet auch immer Spielraum zur Gestaltung. Und das ist, glaube ich, das Schöne am Unternehmertum.