Bemerkenswerte Ideen: reine Glücksfälle?
Unternehmen und Marken benötigen heute mehr denn je bemerkenswerte Ideen und Themen. Denn nur bemerkenswerte Ideen, Themen und Storys verhelfen ihnen dazu, zu den Menschen überhaupt noch durchzudringen, sie zu erreichen und zu aktivieren. Wie aber kommt man zu solch bemerkenswerten Ideen? Sind sie Glücksfall oder Ergebnis präzisen Handwerks und strenger Prozesse? Ein Gespräch an der Achtung! Bar – mit CSO Max Ströbel und CCO Michael Ohanian.
Was sagt ihr: Handelt es sich bei großen wirkungsvollen Kommunikationsideen um zufällige Glücksgriffe oder ist erstklassige Ideation Meisterhandwerk?
Michael: Einer meiner Chefs hat mal gesagt: Texten ist Knochenarbeit im Polstersessel. Man muss als Kreativer investieren und dann brauchst du noch das Quäntchen Glück. Man kann nicht im Lotto gewinnen, ohne sich die Arbeit zu machen, einen Lottoschein auszufüllen.
Max: Nachdem ich mein halbes Leben in der Kreativbranche verbracht habe, bin ich sicher: Man braucht da sogar an zwei Stellen Glück. Erstens das Glück als Mensch, ein gewisses kreatives Talent mitbekommen zu haben. Das hat einfach nicht jede*r. Und zweitens braucht man das Glück eines Umfeldes, das es erlaubt, eine starke Idee auch in voller Pracht zum Leben zu erwecken. Dazu gehört ja viel mehr als nur ein origineller Gedanke. Aber die Ideation selbst ist kein zufälliger Glücksgriff. Die kann man, wenn man das Talent mitbringt, sogar trainieren und verfeinern – wie ein Kunsthandwerk.
Manchmal ist doch aber auch im entscheidenden Moment wirklich Glück im Spiel, oder? Wenn zum Beispiel zufällig mal jemand an der Espressomaschine hier oder auf dem Gang eine zündende Idee hat.
Michael: Ich sag mal so: Talent und Fleiß sind wichtig, aber manchmal brauchst du eben auch noch ein Glücksmomentum. Ein Beispiel: meine ersten Wochen bei Achtung!. Mein voriger Arbeitgeber hatte mich nach meiner Kündigung freigestellt. Ich hätte sechs Monate bezahlten Urlaub genießen können. Ich wollte aber früher bei Achtung! starten. In meiner ersten Woche haben wir dann spontan die Chance bekommen, Ideen für die eBay-Markenplattform zu pitchen. Jetzt sind wir eBay-Leadagency. Glück! Auch Glück, dass Max und ich uns bei diesem Job auf Anhieb quasi blind verstanden haben. Hat man auch nicht immer.
Max: Ich dich auch, Michael! :-) So ein angesprochener Ideen-Glückstreffer kommt vor – aber damit es wirklich ein Volltreffer wird, muss man sich schon vorher mit einer Marke und einer Zielstellung befasst haben. Nur dann kann das berühmte laterale Denken einsetzen. Oft fließen die Gedanken freier, wenn man gerade nicht aktiv und bewusst an der Aufgabe arbeitet, sondern vielleicht der Espressomaschine bei der Arbeit zuschaut. Wie beim spontanen Einfall unter der Dusche: Damit der wirklich gut ist, muss man dem Glück vorher schon einmal auf die Sprünge geholfen haben, durch Nachdenken.
Habt ihr mal ein Beispiel für eine Idee, die Ergebnis eines beinharten und disziplinierten Prozesses gewesen ist und eine wahnsinnige Wirkung entfaltet hat?
Max: Du meinst wie ein zwingender Ablauf? So logisch wie ein Flussdiagramm? Nein, für eine herausragende Kommunikationswirkung braucht es eine irrationale Komponente. Und wenn sie erst in der Phase der Umsetzung dazukommt! Aber Einstein soll mal gesagt haben: „Wenn ich eine Stunde Zeit hätte, um ein Problem zu lösen, würde ich 55 Minuten über das Problem nachdenken – und dann 5 Minuten über die Lösung.“ Dieser Gedanke leitet mich persönlich seit Jahren. Der Mann wusste ja, wie man Wirkung entfaltet: Die Definition des Problems muss sitzen, dann folgt der Geistesblitz fast von allein.
Michael: Dem ist nichts hinzuzufügen!
Und nun – mal ganz ehrlich – ein Beispiel für einen Glücksgriff, der eher purer Zufall war?!
Max: Dass ich bei Scholz & Friends damals meiner Frau begegnet bin. Hatte eine wahnsinnige Wirkung.
Michael: Sehr schön! :-) Meistens ist es wie gesagt Knochenarbeit. Aber glücklicherweise flutscht es auch mal. Meine aus Awardsicht erfolgreichste Arbeit entstand in nur 10 Minuten. Gemeinsam mit Jonas Keller und Martin Strutz saß ich bei einem Ausdenkwochenende auf einem Balkon. Wir hatten die Idee für den Mercedes-Case „Invisible Drive“, der uns einen Cannes Grand Prix gebracht hat. Das war schon eine große Ausnahme. Wir hatten in dem Moment zwar eine tolle Idee, aber da noch keine Ahnung, wie wir das Ganze technisch umsetzen sollten. Die Idee war eigentlich tot. Aber das Glück war schließlich auf unserer Seite: Ein Kollege sprach zufällig mit einem Buddy beim Lunch über unsere Idee. Der meinte, dass sich gerade eine Firma mit einer nagelneuen Technologie bei ihm vorgestellt hat, die passen könnte. Mit den Prototypen haben wir dann die Idee umgesetzt.
Wie elementar ist denn gerade heute die Strategie, um zu wirkungsvollen Ideen zu kommen? Und da interessiert natürlich, ob CCO und CSO unterschiedlicher Meinung sind. :-)
Max: Keine Strategie, keine Wirkung! ;-)) Nein, im Ernst: Das Strategie-Team ist bestimmt nicht unverzichtbar für impactstarke Ideen – aber es ist hoffentlich möglichst oft hilfreich dafür. Unsere Strateginnen und Strategen verstehen sich als Wirkungsweichensteller, das treibt sie an. Entsprechend wollen wir unseren Kolleginnen und Kollegen in der Kreation helfen, so leicht und schnell wie möglich auf wirkungsvolle kreative Lösungen zu kommen. Möglichst in 5 Einstein-Minuten.
Michael: Von mir gibt es da keinen Widerspruch! Es gibt viele geniale Ideen. Aber wenn sie nicht helfen, ein strategisches Ziel zu erreichen, werden sie nie das Licht der Welt erblicken. Manchmal doof – aber so ist es.
Max, welche Rolle spielen Daten? Wir haben ja zum Beispiel in unserer datengetriebenen Kreativagentur Achtung! Neo eigene Datenanalysten, die ihren Beitrag leisten.
Max: Eine enorme Rolle. Sie sind aus unserer täglichen Arbeit gar nicht mehr wegzudenken. Allein schon wegen der atomisierten Mediennutzung der Generationen und Menschen. Beobachtung und Bauchgefühl sind zwar auch weiterhin wichtig, aber ohne Datenanalysen wäre unsere Arbeit das reinste Topfschlagen. Und manchmal sind es die Daten selbst, aus denen eine kreative Idee entsteht.
Was kann ein Kunde dazu tun oder was muss er leisten, damit es zu großen und Wirkung entfachenden Ideen kommen kann?
Michael: Klare Aufgabenstellung! Vor allem aber Mut! Marken feuern auf allen Kanälen aus allen Rohren. Man muss den Menschen etwas Bemerkenswertes liefern, damit sie einem ihre Aufmerksamkeit schenken.
Max: Genau! Zum einen müssen sich unsere Auftraggebenden auf ein glasklares und messerscharfes Briefing mit uns verständigen. Das ist ein Riesenthema, das in unserer Branche leider sehr gelitten hat in den vergangenen Jahren – weshalb wir bei Achtung! gerade einen neuen Prozess dazu aufsetzen. Und zum anderen müssen sich Kundinnen und Kunden bewusst sein, dass nichts so wirkungsvoll ist wie das Neue – und für das Neue braucht es immer auch ein wenig Mut. Mit Vollkasko-Mentalität lässt sich keine herausragende Wirkung entfachen. Aber das spricht sich erfreulicherweise langsam herum.