Die Niederlande als Sprungbrett für Healthcare-Innovationen

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Bianca Glang, Expertin für deutsch-niederländische Wirtschaftsbeziehungen, teilt ihre Einblicke in die Chancen, die der niederländische Markt für deutsche Healthcare-Unternehmen bietet. Im Gespräch mit Simeon Atkinson, Geschäftsführer der Agentur Achtung! InnoHealth und Herausgeber des Newsletters Healthcare Innovators, erklärt sie, warum die Niederlande ein Hotspot für Innovationen sind und wie sie Unternehmen beim erfolgreichen Markteintritt unterstützt – mit einem besonderen Fokus auf Prävention und Frauengesundheit.

Bianca, wie bist du dazu gekommen, dich mit den deutsch-niederländischen Wirtschaftsbeziehungen zu beschäftigen?


Das war eigentlich Zufall. 2007 bin ich nach Düsseldorf gezogen und kam dort in Kontakt mit dem niederländischen Generalkonsulat. Man machte mich auf eine Stelle als Projektmanagerin für die Niederlande bei der Wirtschaftsförderung aufmerksam. Erst da erfuhr ich, wie viel grenzüberschreitendes Business es tatsächlich gibt. Eine ganz interessante und neue Welt öffnete sich für mich. Da ich einen deutschen Ehemann und zwei deutsch-niederländische Kinder habe und privat mein Motto „Best of both worlds“ ist, passte das auch beruflich wie die Faust aufs Auge. Im Jahr 2015 wurde ich dann von einem Consulting-Unternehmen in den Niederlanden gefragt, ob ich „andersherum“ arbeiten und hauptsächlich deutsche Firmen bei ihrer Expansion in die Niederlande unterstützen möchte.

Woher kommt dein Fokus auf Healthcare-Unternehmen?


Mein Interesse an dem Thema Gesundheit ist nach meinem Umzug nach Deutschland entstanden. Da wurde mir plötzlich bewusst, dass auf der anderen Seite der Grenze ein völlig anderes Gesundheitssystem existiert. Besonders beeindruckt hat mich der hohe Stellenwert der Prävention in Deutschland. Deutschland ist bekannt für seine umfassenden Präventionsmaßnahmen (Preventive Health Checks), wie den ganzheitlichen Gesundheitscheck und das jährliche Hautkrebsscreening beim Dermatologen – etwas, das in vielen anderen Ländern nicht selbstverständlich ist, übrigens auch nicht in den Niederlanden.

Als Business Development Consultant war der Health-Sektor für mich stets ein Fokussektor den ich mit persönlicher Leidenschaft betreut habe. Gesundheit ist ein allgegenwärtiges Thema und liegt mir am Herzen, weil es alle Menschen gleichermaßen betrifft und von grundlegender Bedeutung für ein erfülltes Leben ist.

Welches Thema beschäftigt dich gerade, wenn du auf die Healthcare-Branche blickst?


Was mich im Moment besonders bewegt, ist die Frauengesundheit. Ich hatte vor ein paar Jahren ein Burn-out und habe hinterher herausgefunden, dass Hormone hier eine Rolle gespielt haben. Viele wissen nicht, dass 80 % der Patient*innen mit ungeklärten Gesundheitsproblemen Frauen sind – und dass Frauen im Vergleich zu Männern doppelt so häufig die Diagnosen Depression, Angststörungen oder Burn-out bekommen. Zumeist werden ungeklärte Beschwerden bei Frauen also häufiger als rein psychisch eingestuft, obgleich Hormone gerade bei der Entstehung von Burn-out oft eine Rolle spielen.

Daher finde ich es sehr wichtig, das Bewusstsein zu schärfen, dass der weibliche Körper einfach anders krank wird.

Inzwischen hilfst du Healthcare-Start-ups, -Scale-ups und -KMU mit Business Development, vor allem bei der Expansion in die Niederlande oder aus den Niederlanden nach Deutschland. Wie funktioniert das in der Praxis?


Nach meiner Erfahrung wissen Unternehmen häufig nicht genau, wo man in einem anderen Land anfangen soll und was im anderen Land als System möglicherweise anders funktioniert.
Mit meinem Unternehmen, BGA Consulting, biete ich Healthcare-Unternehmen Unterstützung und Begleitung als eine Art „One-Stop-Shop“ für die Expansion an. Ich kenne die Schritte von A bis Z. Mein breites Netzwerk und Wissen in beiden Ländern ermöglicht es mir, relevante Kontakte zu knüpfen und Partnerschaften aufzubauen, die für einen schnellen Erfolg entscheidend sind.

Als strategischer Sparringspartner stehe ich also beratend zur Seite und passe meine Dienstleistungen je nach Bedarf und Ressourcen an. Einige Firmen haben die Kapazität und das Budget, den Prozess intern zu bewältigen, während andere mehr Hands-on-Unterstützung benötigen. Wir können z. B. regelmäßig Brainstorming-Meetings abhalten, damit das Unternehmen selbstständig Fortschritte machen kann. Ich kann aber auch den gesamten Expansionsprozess übernehmen – von der Marktforschung über die Gründung einer rechtlichen Gesellschaft bis hin zur Generierung erster Umsätze. Und oft bringe ich auch meine Kenntnisse zu sprachlichen oder kulturellen Barrieren ein, die nicht unterschätzt werden sollten.

Was wäre so ein Fall, den du gerne unterstützt?


Ich arbeite gerne mit (E-)Health-Unternehmen und Scale-ups, die in ihrem Heimatland bereits erfolgreich sind und mich als Sparringspartner ins Boot holen, um den Schritt über die Grenze zu wagen. Besonders viel Energie und Motivation bekomme ich, wenn Firmen sich mit Themen der Prävention oder Frauengesundheit beschäftigen, denn es ist mein persönliches Ziel, diese Themen in Deutschland und in den Niederlanden weiter voranzutreiben. In solchen Projekten kommt alles zusammen - mein Netzwerk, meine Expertise und meine Leidenschaft für innovative Lösungen im Gesundheitswesen.

Bei meinen derzeitigen Lieblingsfällen handelt es sich dann auch um die Unterstützung von sowohl B2B- als auch B2C-Lösungen, wie z. B. ein digitales Gesundheitszentrum oder eine Menopause-Plattform.

Welchen Ruf hat der deutsche Healthcare-Markt in den Niederlanden?


Der deutsche Healthcare-Markt genießt in den Niederlanden einen ausgezeichneten Ruf. Deutsche Healthcare-Unternehmen und Technologien werden oft als zuverlässig, innovativ und qualitativ hochwertig angesehen, was sie für niederländische Unternehmen, die Partnerschaften mit deutschen Healthcare-Unternehmen eingehen oder ihre Geschäftsaktivitäten auf den deutschen Markt ausweiten möchten, besonders attraktiv macht.

Der niederländische Markt ist ja deutlich kleiner. Warum zieht es trotzdem viele Healthcare-Unternehmen genau dorthin?


„Viele“ sind es natürlich nicht, im Verhältnis gibt es viel mehr niederländische Firmen, die nach Deutschland expandieren, als umgekehrt, allein schon wegen der Marktgröße. Der niederländische Markt ist zwar kleiner als der deutsche, bietet jedoch viele Vorteile, die für deutsche Healthcare-Unternehmen attraktiv sind.

Die Niederlande sind bekannt für ihr innovationsfreundliches Umfeld und ihre lockere Unternehmenskultur, in der Zusammenarbeit und Networking eine wichtige Rolle spielen. Sie werden oft als „Living Lab“ für Lösungen für ein gesundes Leben in der Stadt bezeichnet, da es leicht ist, neue Ideen zu testen und zu entwickeln. Das niederländische Gesundheitssystem ist effizient und flexibel, und das Land bietet ein hervorragendes Arbeitsklima mit einem offenen Mindset. Zudem fungieren die Niederlande als ideales Tor zu anderen europäischen und internationalen Märkten. Die geografische Lage, die gute Infrastruktur und die starke Forschungs- und Entwicklungslandschaft sind weitere Pluspunkte.

Wir können also viel von den Niederlanden lernen. Was hat sich in dieser Hinsicht in den zurückliegenden zehn Jahren schon getan?


In den letzten zehn Jahren gab es in den Niederlanden – ähnlich wie in Deutschland – viele spannende Entwicklungen im Gesundheitssystem. Auch dort gab es Fortschritte in der Nutzung digitaler Technologien wie Telemedizin und Gesundheits-Apps, die den Zugang zu Gesundheitsleistungen erleichtern und die Patientenversorgung verbessern. Besonders beeindruckend finde ich die Einführung innovativer Versorgungskonzepte, die verschiedene Gesundheitsdienste besser vernetzen.

Ein weiteres herausragendes Beispiel in den Niederlanden ist die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Partnern im sogenannten Triple-Helix-Modell. Diese Kooperation hat zu neuen Technologien und Dienstleistungen geführt, die die Versorgungsqualität erhöhen und gleichzeitig die Kosten senken. Die enge Zusammenarbeit zwischen Regierung, Industrie und Forschungseinrichtungen fördert Innovationen und beschleunigt deren Umsetzung im Gesundheitswesen.

Und in den nächsten fünf, in den nächsten zehn Jahren? Welche Entwicklung erwartet uns da in den Niederlanden?

In den nächsten fünf bis zehn Jahren erwarte ich weitere spannende Entwicklungen im Gesundheitswesen, sowohl in den Niederlanden als auch in Deutschland.

Ein Bereich, der noch stärker wachsen wird, ist der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) und Big-Data-Analysen. Auch die Telemedizin wird weiter expandieren. Immer mehr Gesundheitsdienste werden digitalisiert, was den Zugang zur Gesundheitsversorgung erleichtert und gleichzeitig Kosten senken kann. Der Einsatz von Wearables und Gesundheits-Apps wird zunehmen, um den Menschen zu helfen, ihre Gesundheit aktiv zu überwachen und präventive Maßnahmen zu ergreifen.

Ein weiterer Trend ist die stärkere Integration von Gesundheitsdaten und die Förderung der Interoperabilität elektronischer Patientenakten. Dadurch können Gesundheitsdienstleister besser zusammenarbeiten und die Qualität der Versorgung verbessern. In der Gesundheitspolitik werden Nachhaltigkeit und Prävention an Bedeutung gewinnen.

Und last, but not least erwarte ich eine verstärkte Fokussierung auf das Thema Frauengesundheit. Diese Aufmerksamkeit wird weiter zunehmen, mit einer verstärkten Betonung auf Gesundheitslösungen, die die spezifischen Bedürfnisse von Frauen in verschiedenen Lebensphasen berücksichtigen.