„Das Social Web wird sich verändern. Rasant. Und nicht zum Besseren.“
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Mit seinen Aussagen zu grundlegenden Veränderungen bei Meta hat Mark Zuckerberg vor drei Wochen für reichlich Unruhe gesorgt. Wir haben mit unserem Head of Executive Communication und Digital Trend Scout Daniel Rehn gesprochen, um die Geschehnisse mit etwas Abstand nochmals einzuordnen und einen Blick auf die Konsequenzen für unsere Kommunikationsarbeit zu werfen.
Daniel, der Januar startete mit einem regelrechten Paukenschlag. Zuckerbergs Aussagen haben das Social Web ganz schön aufgeschreckt.
Zu Recht. Zuckerbergs vorauseilende Annäherung an den alten, neuen US-Präsidenten Donald Trump zieht massive Auswirkungen für die Plattformen Facebook, Instagram und Threads nach sich, geht aber noch viel weiter.
Zur Erinnerung: In einem knapp fünf Minuten langen Video-Statement hat sich Zuckerberg am 7. Januar dazu geäußert, dass Meta „zu seinen Wurzeln zurückkehre“. Die „Meinungsfreiheit“ wurde wieder als höchstes Gut deklariert. Zudem wurden sechs einschneidende Änderungen für die Meta-eigenen Plattformen angekündigt. Was passiert da?
Sämtliche Ankündigen ließen sich damals wie heute aus Sicht von Expert*innen, kritischen Medien und Co. als ein Anbiedern an Donald Trump und seine neue US-Regierung verstehen. Bereits im Wahlkampf drohte Trump damit, Zuckerberg und Meta „das Leben zur Hölle zu machen“, wenn sie ihm in die Quere kämen. Dem greift Meta nun vor, indem es sich neu aufstellt. Und mit „neu“ meine ich „opportun republikanisch rückwärtsgewandt“.
Wie lauten die angekündigten Änderungen? Und warum sollte man sich als Marke oder Unternehmen damit beschäftigen, was in den USA passiert?
Es gab sechs Ankündigungen, die bereits wenige Tage später in Kraft getreten sind. Wir gehen sie gleich im Detail durch. Aber auf die Frage, warum man sich damit beschäftigen sollte: Social Media kennt keine Landesgrenzen. Was in US-Feeds passiert, sehen wir auch hier auf unseren Screens. Wenn die größten US-Plattformen sich von gemeinsamen Wertesystemen verabschieden, dann hat das auch auf die hiesige Digitalsphäre und Kommunikation Auswirkungen.
Auch wenn wir noch am Anfang der Entwicklungen stehen, können wir uns darauf einstellen, dass sich das Social Web verändern wird. Rasant. Und nicht zum Besseren.
Dann gehen wir die Änderungen auf Zuruf durch. Erstens: Kein Fact Checking mehr in den USA.
Die bis dato eingesetzten Fakten-Checker sind raus. Sie seien laut Zuckerberg politisch voreingenommen gewesen und hätten durch „woke“ Entscheidungen und Bewertungen das Vertrauen der User in die Plattformen und die Redefreiheit zerstört.
Ähnlich wie auf Elon Musks X sollen nun sog. „Community Notes“ als Korrekturwerkzeug genutzt werden. Sprich: Die Community soll selbst regeln und flaggen, ob eine Aussage wahr oder falsch ist, bzw. ob es einen Kontext gibt, in den man sie setzen sollte.
Was heißt das für die User*innen der Plattform?
Ein bis dato wichtiges Vehikel zum Schutz der Wahrheit und dem Eindämmen von bewussten Falschaussagen fällt in den USA weg. Kritische Beiträge werden künftig nicht mehr von unabhängigen Dritten überprüft und bei unwahrheitsgemäßen Aussagen, Verleumdungen und Co. nicht mehr in ihrer Reichweite gedrosselt oder gar gelöscht.
Was das für die Arbeit der in anderen Ländern – so auch für die in Deutschland engagierten Fact-Checking-Partner wie correctiv, dpa, AFP uvm. heißt, ist Stand heute (28.01.) nach wie vor unklar. Die Ankündigung zum Aus der Fact-Checker bezieht sich aber auch vorerst nur auf die Vereinigten Staaten.
Aber kann man nicht argumentieren, dass andere Plattformen auch ohne Fact-Checking auskommen?
Das kann man, klar. Ebenso muss man adressieren, dass die unabhängigen Teams angesichts der Menge an Output nur überschaubare Chancen hatten und haben, um dagegen anzuarbeiten. Aber wenn es gar kein Korrektiv gibt, das die Wahrheit schützt, dann wird es schnell schwierig. Meta verlagert den Job nun in Richtung der User*innen, die ihrerseits noch weniger Schutz genießen als Organisationen. Gleichermaßen wissen wir auch, wie rau der Ton auf der Plattform schon vorher war. Das wird nun nicht besser.
Zudem gilt, wie eben schon gesagt, dass Postings in den Netzwerken keine Landesgrenzen kennen. Unwahrheiten werden natürlich auch im Rest der Welt zu sehen und zu lesen sein und damit Einfluss darauf nehmen, wie sich Meinungs- und Weltbilder bei vielen zusammensetzen. Entsprechende Beiträge können und werden also mit hoher Wahrscheinlichkeit im Newsfeed neben den Posts von rechtschaffenen User*innen wie auch Marken- und Unternehmenskommunikation auftauchen. Fraglich, ob das die „Nachbarschaft“ ist, in der man mit seiner (Corporate) Brand auftauchen möchte. Stichwort Brand Safety.
Okay. Zweitens: Meta verlegt seine Teams für Trust and Safety sowie Content-Moderation von Kalifornien nach Texas.
Vom demokratisch geprägten, progressiven Kalifornien wechselt man ins erzkonservative, republikanische Texas. Auch hier argumentierte Zuckerberg, dass man das Vertrauen der Menschen zurückgewinnen müsse, indem man von Orten aus agiere, die bei den Menschen weniger Sorge auslösen, man könne politisch motiviert agieren.
Davon ausgehend, dass man sich mit Texas als neuer Heimat auch konservativer zeigt, dürfte es für progressive und liberale Ansichten auf der Plattform schwerer werden, Schutz durch die Support-Teams zu finden.
Oder auch: Konservative bis extreme Inhalte und Ansichten werden auf Facebook, Instagram und Threads noch mehr Aufwind erhalten und im Newsfeed stehen bleiben – so schwierig diese auch sein mögen, falls sie überhaupt mit den eigenen Werten vereinbar sind. Brand Safety, zum Zweiten.
KI-Systeme sollen in den USA die Arbeit übernehmen, die vorher Menschen erledigt haben.
KI soll Inhalte nur noch dann automatisiert sperren, wenn sie schwere Verstöße gegen die Nutzungsbedingungen darstellen (z.B. Terrorismus, Drogen, Betrug, Kindesmissbrauch …). Im selben Zuge wurde die Messlatte, wann ein Beitrag überhaupt entfernt wird, angehoben.
Welche Auswirkungen wird das auf die Plattformen haben?
Mit dem Rauswurf des Fact-Checkings und einer nun wohl eher konservativen Perspektive auf das, „was man ja wohl sagen dürfe“, werden mehr Beiträge stehen bleiben, die früher gelöscht worden wären. In der Folge werden Beleidigungen, Rassismus, Frauenfeindliches und Co. seltener moderiert und bleiben sichtbar. Brand Safety, zum Dritten.
Meta lockert seine Nutzungsbedingungen.
Laut Zuckerberg geht es Meta mit einer Rückkehr zur absoluten Redefreiheit darum, Menschen zu ermöglichen, das zu sagen, was sie für richtig hielten. Ebenso gelte es sie davor zu schützen, dass ihnen andere Überzeugungen und Ideologien übergestülpt würden. Themen wie z.B. Migration und Gender seien „out of touch with [the] mainstream discourse“ und sollten daher auch nicht mehr so überproportional sichtbar sein.
Einhergehend mit den Punkten 1, 2 und 3 sind Minderheiten, die sich gesellschaftlich in den letzten Jahren mehr Sichtbarkeit und Gehör erkämpft haben, sehr wahrscheinlich dem ohnehin schon rauen bis hasserfüllten Klima der Plattformen schutzlos ausgeliefert.
Ein Vorgeschmack auf das, was nun wieder laut Nutzungsbedingungen okay ist? Homosexuelle und trans Personen dürfen nun regelkonform als „psychisch krank“ bezeichnet werden, die Degradierung von Frauen zu Eigentum ist nach Streichung der vorherigen Passage ebenfalls wieder erlaubt.
Man kann davon ausgehen, dass sich künftig ähnliche Szenen wie auf X abspielen. Und Brand Safety, zum Vierten und verkauft.
Dann wäre da noch das Comeback politischer Inhalte …
Zuckerberg hat sich über Jahre dagegen gewehrt, dass vor allem Facebook als Nachrichtenquelle verstanden und somit in die Verantwortung gezogen würde, was die Menschen zu sehen bekommen. Zur US-Wahl 2020 versuchte man aus Instagram und Facebook nahezu Politik-freie Umfelder zu machen, indem diese Inhalte in ihrer Sichtbarkeit und Reichweite gedrosselt wurden. Für Trump war das damals eine deutliche Einmischung in seinen Wahlkampf, weshalb er Zuckerberg auf dem Kieker hatte. Nun ist man bei Meta – pünktlich zu Trumps Amtsantritt – „in einer neuen Ära“, die Politisches wieder zulassen solle.
Heißt im Endeffekt für den Rest der (digitalen) Welt: Meta goes MAGA. Mehr Trump. Mehr Musk. Mehr US-Politik in den Feeds. Für alle. Weltweit. Ob sie wollen oder nicht. Das hat man initial zu Trumps Amtsantritt auch gesehen, als US-User*innen auf Facebook teils automatisch zu Trump-Followern umgewandelt wurden und Begriffe wie „democrats“ und „liberal“ auf Instagram in der Suche gesperrt waren, „republicans“ aber mit sehr schmeichelhaftem Content im Explore-Bereich auftauchten. Die Medienberichte dazu waren vielfältig und es fällt schwer da von einem technischen Fehler und Versehen auszugehen.
Bleibt die Kampfansage an Regierungen, die US-Konzerne zu „Zensur“ drängen.
Seitens der EU auf den Weg gebrachte Gesetze wie der Digital Service Act und das Zur-Verantwortung-Ziehen der US-Plattformen, wenn sie ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, wird von Zuckerberg als Gängelung empfunden, um „Zensur zu institutionalisieren“. Redefreiheit und Meinungsfreiheit seien aus seiner Sicht um jeden Preis zu schützen und Meta werde an der Seite von US-Präsident Trump zur Speerspitze, um diese zu verteidigen.
Ein letztes Mal: Was heißt das für die User*innen der Plattformen?
Die Frage muss eher lauten, was es für Europa bedeutet, wenn so offenkundig gedroht wird. Das ist Stand jetzt aber noch nicht abzusehen. Erste Reaktionen der EU bzw. der Mitgliedsstaaten zeigten sich wehrhaft. Das hat man nun auch beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos mitbekommen.
Aber: Es ist nicht zu leugnen, dass Social Media massiv zur Meinungsbildung beitragen und somit auch Einfluss auf die Demokratie haben. Siehe die Debatten um die Sichtbarkeit der AfD und ihrer Mitglieder mit ihren populistischen bis demokratiefeindlichen Inhalten im Social Web.
Mit Update vom 20.01.25 zeigten sich Zuckerberg und Musk allerdings auch wieder gesprächsbereiter, um gegen Hassrede in den Newsfeeds der EU-Staaten vorzugehen. Zwei Drittel der Beiträge, die von anerkannten Organisationen als Hassbotschaft gemeldet würden, sollen innerhalb von 24 Stunden geprüft und gelöscht sein. Ob und wie weit man damit weiteren Daumenschrauben Brüssels entgehen mag, ist unklar.
Was empfiehlst du für Marken und Unternehmen als Absender auf den Plattformen?
Es gilt: Da sich Zuckerbergs Ankündigungen für den Moment auf die USA beziehen und konzentrieren, ist eine überstürzte Handlung nicht zu empfehlen. Eine genaue Beobachtung, wie sich die Plattformen nun aber entwickeln, ist aber unausweichlich.
Ähnlich wie bei den Entwicklungen auf X (ehemals Twitter) unter Elon Musk stehen Unternehmen und Marken nun vor der Frage, wie sie mit diesen Ankündigungen umgehen wollen.
Mittel- und langfristig sehe ich drei Punkte, die für 2025 nun deutlich bewusster diskutiert werden müssen.
Wir sind ganz Ohr.
Erstens: Business-Opportunität vs. Werte abwägen! – Unter der Annahme, dass sich nach X nun auch Facebook, Instagram und Threads zu Umfeldern entwickeln, in denen immer extremere Meinungen und Ansichten kursieren, werden Unternehmens- und Markeninhalte immer öfter neben Postings auftauchen, die einen zusammenzucken lassen.
Ob Unternehmen und Marken mit ihren Werbebudgets diese Plattformen und Umfelder am Laufen halten wollen, die keinerlei Brand Safety bieten, eigenen Werten widerstreben und die eigenen Zielgruppen wahrscheinlich nicht mehr schützen können und wollen, muss jede*r selbst entscheiden.
Bei X sah man in kürzester Zeit einen Exodus von Werbepartnern.
Richtig. Allerdings haben Facebook und Instagram in Deutschland und dem Rest der Welt einen ganz anderen Stellenwert für das digitale Advertising und Social Media Marketing. Zuckerberg spekuliert nach Expert*innenmeinung darauf, dass die meisten Werbetreibenden zu behäbig sein werden, um sofort den Stecker zu ziehen.
Was noch?
Zweitens: Haltung zeigen! – Es braucht nicht nur aktives Community Management, sondern klare Haltung.
Unternehmen und Marken stehen nun vor der nächsten Feuertaufe, ob man Haltung lebt oder nur Lippenbekenntnisse von sich gibt. In den USA konnte man zahlreichen Unternehmen dabei zusehen, wie sie ihre DE&I-Programme aus Angst vor Repressalien für ihr wokes Auftreten einstampfen. Das heißt für hiesige Unternehmen auch, sich klar zu den eigenen Werten und dem gesellschaftlichem wie auch demokratischem Grundverständnis zu äußern, wenn es darauf ankommt. Hier braucht es klare Aussagen und Rückendeckung für jene, die sich dafür einsetzen.
Und zum Schluss?
Drittens: Invest in das Community Management! – Meta macht es sich mit der neuen Handhabe sehr bequem und wälzt die Verantwortung für das, was im Feed geschieht, auf die User*innen ab. Wenn die größten digitalen Plattformen ihren Verantwortungen nicht nachkommen, muss darum an anderer Stelle reagiert werden.
Aktives Community Management wird zu einem absoluten Muss. Entlang eigener „Hausordnungen“ wie Netiquette und Co. muss für einen vernünftigen Umgang der User*innen in den Kommentarspalten unter Posts und Ads gesorgt werden. Keine Marke und kein Unternehmen will Hass, Beleidigungen und Co. in direkter Verbindung mit seinen Inhalten sehen. Wie gesagt, Brand Safety.
Danke für die Einordnung, Daniel. Wie wird es weitergehen?
Um den Bogen zurück zum Start des Interviews zu schlagen. Der Januar war wild. Nicht nur Meta hat für Schlagzeilen gesorgt. Auch TikTok. Darum gilt: Wir behalten die Entwicklungen weiterhin sehr genau im Blick und werden unseren Kolleg*innen und Kund*innen mit Rat und Tat zur Seite stehen.
(Stand: 30. Januar 2025)