Können Marken Bewegungen auslösen oder sogar zu einer werden?

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Können Marken Menschen so sehr mitreißen und mobilisieren, dass sie zu einer regelrechten Bewegung werden? Kann das gelingen? Und welchen Marken ist es bereits gelungen? Wir fragen Michael Waning, Chef der Strategie bei Achtung!.


Michael, Bewegungen können stark sein. Ihr Ziel verbindet die Mitmachenden, eint sie und reißt sie mit. Auch Marken haben bereits versucht, so etwas wie Bewegungen zu werden. Welche haben es geschafft?
Ich glaube, man könnte Fridays for Future als Bewegung bezeichnen, die zur Marke geworden ist. Aber Marken in unserem Sinne können eigentlich nur Teil einer Bewegung werden. Oatly ist das beim Veganismus-Trend gelungen. Tierfreie Produkte bekommen durch die Marke eine gewisse Coolness. Ich glaube, das macht es vielen leichter, sich der Idee zu öffnen und Milchalternativen auszuprobieren. Und das Megabeispiel ist natürlich Patagonia. Eine Marke, die so nachhaltig werden will, dass sie zu einem modischen Ausweis dieser Einstellung geworden ist.


Wie ist das gelungen? Was ist das Erfolgsrezept?

Bewegungen entstehen, weil sich in einer Gesellschaft etwas verändert. Zum Beispiel Werte oder kulturelle Strömungen. Wer im Zentrum so einer Bewegung mitspielen will, muss diese Veränderungen verstehen und sich rechtzeitig passend positionieren. Oatly und Patagonia waren im richtigen Moment schon authentisch.


Und wann ist der Versuch einer Marke, so was wie ein Movement auszulösen, von vornherein zum Scheitern verurteilt?

2017 hat Kendall Jenner in einem Spot eine Konfrontation zwischen Demonstranten und Polizei mit einer Pepsi-Dose befriedet. Der Spot wurde deshalb sofort als Geldmacherei auf dem Rücken der sehr ernsten Proteste gegen Polizeigewalt in den USA gedeutet. Der Moment war da, die glaubwürdige Mission hat völlig gefehlt. Man kann nicht erst aufspringen, wenn sich scheinbar eine Chance bietet.


Der Spot ist offensichtlich übers Ziel hinausgeschossen. Zu welchen Themen sollten Marken eine klare Haltung haben, wo halten sie sich besser zurück?

Die Frage ist ja: Was ist eigentlich eine klare Haltung? Keine Marke darf sich vom gesellschaftlichen Konsens überholen lassen, sonst wird sie irrelevant oder bestraft, das ist eine alte Marketing-Spielregel. Aber sich zu LGBTQ-Rechten zu bekennen, ist in Deutschland keine Haltung mehr. Nachhaltigkeit gut zu finden auch nicht. Es gibt nur etwas zu gewinnen, wenn die Marke für den Erfolg einer Bewegung etwas riskiert oder sichtbar etwas an ihrem Kerngeschäft oder in ihrer Organisation verändert. Dann wird Haltung glaubwürdig. Katjes macht das sehr gut.


Wenn Regenbogenfahnen keine Haltung sind, was erwarten Konsumentinnen und Konsumenten? Was ist das Minimum, das eine Marke über ihre Produktversprechen hinaus erfüllen muss?

Funktionierende Standards für Gleichstellung, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit sind jetzt das Minimum. Das ist der gesellschaftliche Konsens, den ich meinte. Darüber hinaus kommt es darauf an, zu welchen Bubbles und Subkulturen die Zielgruppe gehört, da entstehen die Spielregeln für Bewegungen. Wer sich vor allem an die Gen Z vermarktet, muss zum Beispiel in den drei genannten Kategorien überdurchschnittlich gut sein. Selbst Oatly ist das auf die Füße gefallen, als Blackstone als Investor eingestiegen ist. Da wurde ganz schnell „Verrat!“ gerufen.



Einige Marken kooperieren beim Cause-related Marketing vorübergehend mit einer Non-Profit-Organisation und spenden einen Teil ihrer Erträge. Worauf sollte man bei der Wahl der Organisation und des Projekts achten?

Die NGO muss zum Kerngeschäft passen. Die Zielgruppe sollte die NGO kennen. Und die Marke sollte nicht typischerweise für etwas kritisiert werden, wogegen sich die gewählte NGO einsetzt – oder für ein offensichtlich verwandtes Thema. Erst vor der eigenen Tür kehren.


Wo hat es mal offenbar gar nicht gepasst? Und wo besonders gut?

Für mich gibt es da ein Beispiel, das beides erfüllt: Krombacher und den Regenwald kennt heute noch fast jeder, in den 00er Jahren war das eine wahnsinnig gute Aktivierung. Aber das Projekt an sich würde inzwischen wohl als wenig glaubwürdig ignoriert werden. Was hat deutsches Bier mit Regenwald in Afrika zu tun? Trotzdem engagiert sich Krombacher heute noch dort, ohne Marketing. Das ist vielleicht auch eine Form von Haltung.