„Hey, lasst mich mitmachen!“

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Antje Neubauer war Chief Marketing Officer der Deutschen Bahn und eine der einflussreichsten Marketingentscheiderinnen Deutschlands. Dann hat sie gekündigt. Heute ist sie als Aufsichtsratsvorsitzende der Agentur SYZYGY, Beiratsmitglied der Agentur 365 Sherpas und als Beraterin tätig sowie als Rednerin gefragt. Achtung! CEO Mirko Kaminski hat mit ihr gesprochen.


Antje, du warst für eines der größten Marketingbudgets Deutschlands verantwortlich, hattest Einfluss und eine Top-Position. Dann hast du gesagt: „Nun ist gut!“ Du hast dem Bahn-Konzern den Rücken gekehrt. Warum? Und steckt da womöglich etwas drin, von dem jüngere Talente lernen können?


Den Job – also nicht allein bei der Bahn – habe ich rund 25 Jahre gemacht. Das Vierteljahrhundert fühlt sich rückblickend für mich kurz an, objektiv betrachtet war es eine lange und sehr intensive Zeit. Ich habe viel gesehen, erfahren, erlebt und gelernt. Und das Großartige daran: Ich bin beruflich, aber vor allem persönlich gewachsen. Dann aber bin ich zu dem Punkt gekommen, an dem ich mir die Frage gestellt habe, wie es weitergehen soll. Noch höher, weiter und schneller? Ich war keinesfalls müde oder ausgebrannt. Mich hat aber die Frage umgetrieben, was ich – noch jung genug – anderes entdecken und machen könnte. Mit knapp 50 Jahren hatte ich einfach Lust, mir die Chance auf etwas Neues zu schenken. Einfach schauen, was mir noch Spaß macht und wo ich gut sein könnte. Ich hätte stattdessen natürlich auch denken können: „Ich mag die Bahn, die Menschen und den Job. Hier bleibe ich.“ Das hätte ich tun können, habe ich aber nicht. Man hat eben nur ein Leben und da fand ich es für mich wichtig, noch einmal etwas anderes auszuprobieren. Ich war voller Energie und Mut, habe da auf mein Gefühl vertraut und auf meine Intuition gehört.

Welche Stärken und Fähigkeiten haben dir geholfen, die Top-Position überhaupt zu erklimmen?


Mein gesamter Karriereweg fand in Konzernen statt: unterschiedliche Geschäftsfelder – bei RWE, bei DB Schenker oder bei der Deutschen Bahn AG. Eine Ausnahme gab es: 1,5 Jahre beim Verband. Zu meiner Zeit war das noch eine sehr von Männern dominierte Welt. Das ändert sich erfreulicherweise aktuell. In einer Männerwelt zu arbeiten, hatte für mich Vor- und Nachteile. Ich habe als Frau andere – vielleicht bereichernde – Facetten eingebracht. Ich habe eben anders geredet, habe hier und da anders gedacht und gehandelt, war emotionaler, kann – so wird mir gesagt – sehr mitreißend und überzeugend sein. Das wurde gesehen und oft auch begrüßt. Kritik und Ablehnung waren aber ebenfalls meine Wegbegleiter. Als junge Frau war ich sicherlich manches Mal Außenseiterin und gehörte nicht sofort zum Inner Circle. Diesen vermeintlichen Nachteil habe ich aber nicht einfach hingenommen. Im Gegenteil. Ich war „laut“: „Hey, lasst mich mitmachen! Ich will dabei sein!“ Und das Fordern, Leisten und Dranbleiben hat funktioniert.

Eine andere Stärke von mir ist sicherlich mein Mut. Ich habe mir persönlich die geistige Freiheit bewahrt, das zu tun, was mir Spaß macht und worin ich gut bin. Das heißt nicht, dass – nenne ich sie mal Durststrecken – nicht Teil meines Weges gewesen wären. Aber wenn man das Große und Ganze betrachtet, dann sollte einem der Job Freude bereiten. Wenn das nicht der Fall ist, dann kann man auch nicht gut darin sein. Dann sollte man gehen. Ich hatte die innere Ruhe und Autonomie sicherlich auch deshalb, weil es für mich keinen elementaren wirtschaftlichen Zwang oder Druck gab. Ich hatte kein Immobilieneigentum, keine Schulden und auch keine eigenen Kinder. Da kann man in seinen Entscheidungen sicherlich freier agieren. Bei vielen meiner Kolleg*innen sah das anders aus. Da wundert es nicht, dass sie vorsichtiger sind. Sie müssen glauben, mit einer beruflichen Entscheidung alles aufs Spiel zu setzen. Dafür habe ich völliges Verständnis. Ich hingegen habe mir meine Freiheit genommen und konnte wahrscheinlich an der einen oder anderen Stelle mutiger sein. Allerdings muss auch klar sein: Wer mehr wagt, der scheitert auch das ein oder andere Mal. Man gewinnt eben nicht immer. Das Scheitern und das Aufstehen zu lernen, sind wichtige Schritte auf dem Weg zum Erfolg. Wenn du dann ob des Muts Erfolg hast, dann wirst du sichtbar. Und wenn du sichtbar wirst, dann geht es weiter und weiter. Und dieser Mut hat mich weit getragen.

Gibt es da noch eine Stärke?


Heute wird ja viel über Work-Life-Balance gesprochen. Und das finde ich auch gut und richtig. Nun kommt das Aber! Es gibt Momente, in denen man die Extra-Meile gehen muss. Für spannende Projekte, für große Aufgaben, für aufregende Vorhaben, für eigene Sichtbarkeit. Und diese Extra-Meile muss sich nicht zwangsläufig in zusätzlicher Zeit niederschlagen. Extra-Meile bedeutet: Es kann anstrengend und quälend sein, es kann mal nicht so schön sein, es kann viel Energie, Einsatz und Konzentration erfordern. Und diese Bereitschaft zur Extra-Meile sollte man in bestimmten Momenten und zu bestimmten Zeiten haben. Ich hatte diese Bereitschaft und ich habe sie immer noch. Wer das nicht möchte, wer nicht bereit ist, den steinigen Weg zu gehen, für den wird es schwierig, sich abzuheben, sich zu differenzieren und sichtbar zu werden. Schlau und gut sind nämlich ganz viele. Wer aber ist bereit, die Extra-Meile zu gehen? Wer hat das Durchhaltevermögen? Wer hält durch und bleibt motiviert, wenn es gerade nicht so läuft? Mit solch einem Willen und solch einem Durchhaltevermögen hebt man sich ab. Und wer vorankommen will, sollte sich eben von anderen abheben und mit beschriebenem Engagement auffallen.

Du wirkst so, als würdest du stets sagen, was du denkst. Und zwar
geradeheraus. Ohne großes Corporate-Brimborium, ohne Buzzwords und ohne Management-Klimbim. Ist das eine Stärke?


Das entspricht meiner Persönlichkeit. Ich bin ein Kind des Ruhrgebiets. Ich glaube aber, dass das für meine Karriere in Konzernen nur bedingt förderlich war. Konzern bedeutet ja auch stets viel interne Politik und erfordert daher eine gewisse Geschmeidigkeit. Ich für meinen Teil habe aber entschieden, da nur bedingt mitzumachen. Ich glaube nämlich eher, dass sich Qualität und Direktheit durchsetzen. Direktheit meint für das Gegenüber, genau zu wissen, was erwartet wird und was zu erwarten ist. Die klare Ansprache ist nicht jedermanns Sache. Für sensible Menschen ist sie sehr anspruchsvoll. Für Menschen, die es aushalten können, ist sie ein Gewinn. Ich kann dieses direkte Feedback aushalten und empfinde es als bereichernd, egal ob gut oder schlecht. Für meine eigene Direktheit habe ich viel Lob bekommen, aber auch viel Kritik eingesteckt Sicher ist aber, dass bei mir jede*r weiß, woran sie oder er ist.

Wir haben das Thema eben schon einmal kurz gestreift … Die Bahn – das sind Stahlschienen, Maschinen, Technik, Öl. Man könnte sagen: Das dünstet Männlichkeit aus. Bist du da auch vorangekommen, weil du so was wie eine „männliche“ Seite hast?


Natürlich haben mich die vielen Jahre im Job auch, bis zu einem gewissen Grad, sozialisiert. Ich habe irgendwann – und das war ein furchtbarer Moment – festgestellt, dass ich im Job auch kriegerische Sprache benutzt habe. Das war ein Tiefpunkt für mich. Auf der anderen Seite – und das empfinde ich als positiv – habe ich Durchsetzungsstärke gelernt. Mich schubst man nicht so schnell von der Bank runter. Ich kann viel aushalten, bin nicht dünnhäutig. Das hat mir in den Konzernen sicher geholfen.

Wenn du in der Zeit zurückreisen könntest und der 20-jährigen Antje mit Blick auf Beruf und Karriere einen wertvollen Rat geben dürftest: Welcher wäre das?


Sei mutig! Denk nicht zu viel darüber nach, sondern hör auf dein Bauchgefühl! Ich bin ein großer Fan von Bauchgefühl und glaube sehr daran. Ich würde aber auch raten: Schau, wo es kulturell passt! Das habe ich anfangs nämlich nicht getan, dann aber festgestellt, dass das ganz wichtig ist. Als ich von der Uni kam, ging es ausschließlich darum, irgendeinen Job zu finden. Es gab nämlich nur ganz wenige. Das waren andere Zeiten. Man hat unzählige Bewerbungen geschrieben und wenn ein Jobangebot reinkam, hat man zugegriffen. Heute ist die Auswahl groß. Du kannst entscheiden, wo du wirklich hinwillst. Und ich rate dazu, genau zu schauen, welche Kultur ein Unternehmen hat, welche Personen es da gibt und wofür die stehen. Es geht nicht nur darum, den besten Job mit dem besten Gehalt zu kriegen. Es geht darum, ob das soziale und kulturelle Umfeld wirklich zu einem Menschen passt. Fühle ich mich da wohl? Passen Ton und Umgang zu mir? Kann ich mich da entwickeln und einen Mehrwert bringen?

Mein Rat:
Wähl nicht das vermeintlich beste Angebot, sondern prüf genau, ob du da hineinpasst, ob dir die Kultur liegt und ob das der Ort ist, an dem du richtig gut sein kannst und an dem du wachsen kannst. Das ist wichtig!