DiGA: Deutschlands Exportschlager für digitale Gesundheit

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Marisa Kaup, Market-Access-Expertin bei Oviva, einem Unternehmen für digitale Ernährungs-Therapien, spricht über die internationale Verbreitung digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA). Im Interview mit Simeon Atkinson, Geschäftsführer der Agentur Achtung! InnoHealth und Herausgeber des Newsletters Healthcare Innovators, hebt sie hervor, wie Deutschland Pionierarbeit leistet, welche Fehler andere Länder vermeiden können und warum EU-weite Regeln der nächste logische Schritt für digitale Therapien sind.

Marisa, du kommst ursprünglich aus der Pharmaindustrie, hast dich also jahrelang mit der Erstattung von Medikamenten befasst. Jetzt geht es bei dir um digitale Therapien, genauer gesagt um Oviva. Was begeistert dich an diesem Job?

Mein Job, also Market Access, bedeutet letztlich, die Erstattungsfähigkeit sicherzustellen. Das erfordert sowohl bei Arzneimitteln als auch bei App-basierten Therapien die Erfüllung vielfältiger Anforderungen, vor allem im Bereich Evidenz. Bei Apps kommen noch Aspekte wie Datenschutz oder Interoperabilität hinzu.

Während die detaillierten Anforderungen zunächst sehr technisch klingen, bedeutet Erstattung im Ergebnis jedoch, dass alle Versicherten gleichberechtigt Zugang haben. Und das macht einen echten Unterschied: Bei Oviva arbeiten wir daran, Menschen mit gewichtsbedingten Erkrankungen wie Adipositas, Diabetes oder Bluthochdruck wirksame Therapien zugänglich zu machen.

Das treibt mich jeden Tag an, früher und heute bei Oviva. Als Kirsche on top macht die Arbeit bei Oviva und im SVDGV wahnsinnig viel Spaß: Hier tummeln sich supermotivierte Leute, die Lust haben, die vielen ungenutzten Potenziale im Gesundheitswesen mit Digitalisierung Schritt für Schritt anzugehen. Das erfordert häufig Geduld und Nerven, aber es lohnt sich und deshalb: Challenge accepted.

Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) gibt es in Deutschland schon seit mehreren Jahren. Im Ausland sind ähnliche Modelle erst im Kommen. Schaut die Welt gerade auf Deutschland?


Auf jeden Fall. In Deutschland wurde hier echte Pionierarbeit geleistet und das wird im Ausland nach wie vor häufig referenziert. Wir sind im ständigen Austausch mit internationalen Verbänden und Allianzen, die für ihre jeweiligen Länder an DiGA-ähnlichen Modellen arbeiten. In Europa sind bereits Frankreich und Belgien nachgezogen, in Österreich und Italien starten Pilotprojekte. Auch in Japan und Südkorea gibt es schon regulatorische Prozesse für digitale Therapien, die Erstattung in den USA wird gerade gesetzlich neu verhandelt.

Das bestätigt den Erfolg von DiGA in Deutschland und bietet eine wichtige Chance für Hersteller, durch Expansion in neue Märkte zu wachsen. Im internationalen Austausch versuchen wir dabei herauszufinden, wo es Synergien bei der Bewertung von digitalen Therapien geben kann und sollte. Dazu gibt es aus dem Arzneimittelbereich langjährige Erfahrungen: Zulassungsstudien werden international durchgeführt und nicht für jeden Markt einzeln.

Diese Länder haben jetzt die Chance, aus Fehlern zu lernen, die wir in Deutschland gemacht haben. Welche wären das?


Zunächst einmal finde ich persönlich, wir meckern auf hohem Niveau – typisch deutsch also. Insbesondere jetzt, wo andere Länder DiGA-ähnliche Konzepte launchen, wird deutlich, wie durchdacht die Rahmenbedingungen für DiGA in Deutschland von Beginn an waren. Und sie entwickeln sich stetig weiter.

Wo man von Deutschland noch viel lernen kann, ist der Patientenzugang und die Integration in die Versorgung. Denn mit der Zulassung und der Erstattungsfähigkeit ist es ja nicht getan. Damit meine ich, wie die Menschen an die digitale Therapie kommen. Jeder weiß, wie man ein Arzneimittelrezept in der Apotheke einlöst, das dauert nur wenige Minuten. Bei DiGA sieht das anders aus: Aktuell benötigt man rund zwei Wochen von der Verordnung bis zum Onboarding in der App. Ironischerweise meist manuell, nicht digital. Es gibt Krankenkassen, die fordern die postalische Einreichung des Original-Rezeptes von ihren Versicherten. Nur um dann einen Brief mit dem DiGA-Freischaltcode zurückzusenden, der für den Zugang in die DiGA benötigt wird. Das soll sich nächstes Jahr mit dem E-Rezept für DiGA ändern, wir sind vorsichtig optimistisch.

Wie steht es um die Chance, dass wir eines Tages ein internationales System für verschreibungsfähige Apps haben? Und was würde es App-Anbietern bringen?


Ich bin grundsätzlich optimistisch, dass wir in Europa Anforderungen und Prozesse rund um digitale Therapien vereinheitlichen können. Es gibt ja bspw. mit der Medical Device Regulation (MDR) schon einen europäischen Zulassungsprozess und mit der DSGVO ein gemeinsames Grundverständnis zum Datenschutz. Es ist aber unrealistisch, dass es in absehbarer Zeit eine europaweite Entscheidung zur Erstattung geben wird.

Aus dem Pharmabereich wissen wir, dass die Entwicklung einer europäischen Nutzenbewertung (EU-HTA) mehrere Jahrzehnte gedauert hat. Die tatsächliche Erstattungsentscheidung ist nach wie vor Ländersache. Für DiGA kann und sollte das deutlich schneller gehen. Allerdings muss stark differenziert werden, was harmonisiert werden kann und was nicht.

Unstrittig ist, dass Evidenz zu DiGA international bewertet werden kann. Die Übertragbarkeit von Studien, die in Deutschland durchgeführt wurden, in andere europäische Länder lässt sich in der Regel gut begründen. Für Arzneimittel ist das jahrelang erprobt.

Aus rein unternehmerischer Sicht bedeutet jeder Schritt in Richtung internationaler Harmonisierung eine bessere Skalierbarkeit für unsere Angebote. Je mehr Synergien es für den Marktzugang gibt, desto attraktiver ist es, neue Märkte zu erschließen. Letztlich kann der Harmonisierungsgrad beeinflussen, wie zeitnah auch Menschen kleinerer Länder Zugang zu innovativen Versorgungsangeboten erhalten.

In Deutschland engagierst du dich zusammen mit anderen App-Anbietern im Spitzenverband Digitale Gesundheit (SVDGV). Wie kann man sich diese Kooperation mit der Konkurrenz vorstellen?


Im Digital-Health-Bereich ist eine intensive Zusammenarbeit unerlässlich, weil die Ressourcen eines einzelnen Start-ups schlichtweg begrenzt sind. Wir gestalten das sehr kollaborativ, weil Themen wie der Zugang über das E-Rezept oder neue Evidenzanforderungen alle gleichermaßen betreffen. In meiner Wahrnehmung steht die Verbesserung der Rahmenbedingungen für eine gute Versorgung dabei immer im Vordergrund – Konkurrenz hin oder her.

Konkret sieht das im SVDGV so aus, dass in verschiedenen Arbeitsgruppen Erfahrungen und Expertise ausgetauscht werden. Diese gibt es beispielsweise für Datenschutz, für Telemedizin oder eben für Internationalisierung.

Was unterscheidet deine jetzige Arbeit im Digital-Health-Sektor von deinen früheren Erfahrungen?


Es unterscheidet sich natürlich inhaltlich, aber auch kulturell. Rein inhaltlich ist das Spektrum an Themen, mit denen ich mich beschäftige, viel breiter geworden. Bei Oviva kümmere ich mich aktuell um Market Access, Gesundheitspolitik und unsere DiGA-Pipeline. Bei Pharma gab es dafür jeweils große Abteilungen, deren Expertise viel ausdifferenzierter waren. Auch wenn Oviva als Scale-up schon relativ groß und international ist, machen wir ständig Dinge zum ersten Mal. Das erste Mal Preisverhandlungen für eine DiGA, das erste Mal ein neues Gesetz lobbyieren oder Studiendaten mit führenden Ärzt*innen diskutieren. Ich bin ein sehr neugieriger Mensch und komme da voll auf meine Kosten.

Kulturell ist der Arbeitsalltag in der Digital-Health-Branche durch den höheren Druck der Start-up-Szene geprägt. Im Vergleich zu Big Pharma bringt das mehr Dynamik mit sich, Entscheidungen werden risikoaffiner und schneller getroffen. In meiner Wahrnehmung gibt es darüber hinaus noch eine Art positive Selektion: Hier trifft man tolle Unternehmer*innen, die innovativ sind, sich aber auch für eine Branche entschieden haben, in der man eine soziale Verantwortung gegenüber Patient*innen hat und in der man in puncto Regulatorik oft einen langen Atem benötigt. Ich bin sehr dankbar, dass ich mit so vielen von ihnen zusammenarbeiten darf.