Für bessere Hygiene: Beraten mit Daten
Händehygiene-Monitoring im Krankenhaus als internationaler Verkaufsschlager – genau das ist Tobias Gebhardt mit der Firma GWA Hygiene gelungen. Im Gespräch mit Simeon Atkinson erklärt er, warum er beim Marktzugang ein Fan von Kooperationen ist und welche Wachstumsschritte ihn gerade beschäftigen.
Tobias, mit GWA Hygiene installiert ihr ein Händehygiene-Monitoring-System in Kliniken – und zwar mit überragendem Erfolg. Wann ist dir zum ersten Mal klar geworden, wie viel Potenzial in dem Thema steckt?
Die Zahlen sprechen für sich. 90 Prozent aller Keime werden über die Hände übertragen. Allerdings wird nur jede zweite erforderliche Händedesinfektion tatsächlich durchgeführt. Das ist einer der Gründe, warum es allein in Deutschland jedes Jahr zu rund 700.000 Krankenhausinfektionen kommt. Das wirft die Frage auf, warum diese wichtige Präventionsmaßnahme zur Händedesinfektion nicht häufiger praktiziert wird. Es hängt auch mit einer Selbstüberschätzung des Klinikpersonals zusammen.
Nicht selten denken die Beschäftigten, dass sie in puncto Händehygiene-Compliance besser seien, als es tatsächlich der Fall ist. Eine Anekdote bezieht sich auf einen Chefarzt, der meinte, dass er steril geboren sei und keine Händedesinfektion benötige, nachdem er bei einer Visite von einer Hygienefachkraft auf sein ausbaufähiges Desinfektionsverhalten aufmerksam gemacht worden war.
Spätestens dadurch wurde mir klar, dass es Zahlen, Daten, Fakten braucht, um Verhalten hinsichtlich der Händehygiene wirklich zu beeinflussen. Genau solche Daten stellen wir mit unserem Händehygiene-Monitoring NosoEx zur Verfügung. Daher lautet unser Credo „Beraten mit Daten“.
Von der Idee zur Umsetzung ist es oft ein steiniger Weg. Wie war das bei euch? Wie seid ihr zum ersten Mal in ein Klinikum gekommen?
Das ist insbesondere der Fall, wenn man eine solche Wertschöpfungstiefe hat wie wir. Wir entwickeln die Hard- und Software inhouse. Daher hatten wir die ersten Jahre Stipendien, wie das EXIST- und das Landesgründerstipendium von Mecklenburg-Vorpommern, um die Produktentwicklung zu finanzieren. Zusätzlich erhielten wir bei Ideenwettbewerben einige Auszeichnungen, woraus sich weitere Kontakte ergaben.
Ein wichtiger Kontakt war das Klinikum Lüneburg, wo wir unser NosoEx-System pilotieren konnten. Dort stiegen die Desinfektionszahlen im Zuge unseres Projektes um bis zu 35 Prozent, sodass unsere Lösung anschließend flächendeckend zum Einsatz kam. Dieser Kunde und der dortige Krankenhaushygieniker waren für uns eine wichtige Referenz für die weitere Unternehmensentwicklung.
Hygiene ist im Krankenhaus ja prinzipiell ein Kostenfaktor. Ich kann mir vorstellen, dass es sehr schwer ist, hier eine bessere Lösung zu verkaufen. Welche Rolle haben Kooperationen für euren Marktzugang?
Leider wird Hygiene häufig als Costcenter im Vergleich zu anderen Krankenhausabteilungen, die Profitcenter sind, gesehen. Die Corona-Pandemie hat jedoch gezeigt, welche Aufwände und Kosten entstehen können, wenn Hygiene vernachlässigt wird. Daher bin ich überzeugt, dass der Verzicht auf Hygiene teurer ist als die Durchführung von Hygienemaßnahmen. Das lässt sich mit einer Brandschutzanlage vergleichen. In eine solche Anlage muss zunächst investiert werden. Verglichen mit einem Brand und der anschließenden Schadensbeseitigung wird diese Investition aber geringer ausfallen.
Hygiene ist außerdem ein Teamsport. Dafür müssen einerseits diverse Berufsgruppen im Krankenhaus an einem Strang ziehen und andererseits auch Partner und Zulieferer unterstützen. Daher haben wir früh auf Kooperationen mit Desinfektionsmittelherstellern gesetzt.
Auf eine vergleichbare Herangehensweise setzt ihr auch bei eurer Internationalisierung. Was ist da geplant?
Wir haben bereits in 17 Ländern NosoEx-Projekte realisiert. Das verdanken wir Partnerschaften mit Unternehmen wie B. Braun, HARTMANN und Kiilto. Diese haben unsere Lösung in ihr Portfolio aufgenommen und vertreiben NosoEx über ihre Vertriebskanäle international. Das ist eine Win-win-Situation. Wir stellen diesen Desinfektionsmittelherstellern innovative digitale Systeme zur Verfügung, und sie können ihren Kunden neue Lösungen anbieten und sich damit im hart umkämpften Markt für Desinfektionsmittel differenzieren.
Kooperationen sind in Deutschland und international enorm wichtig für euch. Gibt es bei dieser Strategie eigentlich auch Risiken? Hast du schon mal schlechte Erfahrungen gesammelt mit Kooperationen?
Bei den Kooperationsverhandlungen kam häufig die Frage nach der Exklusivität. Alles auf eine Karte zu setzen, ist logischerweise ein Risiko für uns. Glücklicherweise konnten wir diese Forderung meist umgehen und sehen heute eine gute Koexistenz unserer Partner.
Gleichzeitig darf man nicht nur auf Vertriebspartnerschaften setzen. Insbesondere wenn bei Partnern Restrukturierungen und eine Fluktuation der Ansprechpartner*innen stattfinden, kann dies für Sales-Ziele sehr nachteilig sein. Daher sind eigene Vertriebsaktivitäten stets zentral.
Im Moment ist GWA Hygiene eine One-Product-Company. Wird es dabei bleiben?
Bereits 2020 haben wir mit der Entwicklung des Patientenzonen-Sensors als weiteres Standbein begonnen. Der Product Launch steht kurz bevor und wir werden damit vielfältige Use Cases rund um das Patientenbett adressieren. Dazu gehören im ersten Schritt das Belegungsmanagement sowie die Bewegungserkennung von Personen im Patientenumfeld. Die damit verbundene Entwicklung von KI-Modellen führen wir zusammen mit Google durch. Darüber hinaus werden wir weitere Anwendungsfälle wie zum Beispiel Delir, Dekubitus und Sturzerkennung aufgreifen.
Des Weiteren haben wir ein Innovationsprojekt zum Tracking von Blutkulturen an der Universitätsmedizin Greifswald realisiert. Dabei hat uns die Firma HYPROS, Marktführer für Asset-Tracking in deutschen Krankenhäusern, tatkräftig unterstützt. Diese Zusammenarbeit werden wir ab April 2024 stark ausbauen.
Was heißt das für dich persönlich? Wie wird sich deine Rolle ändern?
Ich freue mich in erster Linie, dass sich unser Team, das Lösungsportfolio und unser Kundenstamm erweitern. Gemeinsam mit Hypros entwickeln wir die IoT-Plattform für das Gesundheitswesen. Daraus ergeben sich neue Wachstumsmöglichkeiten, die für mich als Geschäftsführer besonders spannend werden.
War das alles für dich vor zehn Jahren vorstellbar?
Vor zehn Jahren habe ich mein Masterstudium in Innovationsmanagement an der University of Southern Denmark abgeschlossen. Parallel zu meinem Studium bin ich bereits in die Start-up-Welt eingetaucht und habe zweimal das Silicon Valley besucht.
Dass im Anschluss eine solche spannende unternehmerische Reise vor mir liegt, konnte ich mir damals nicht vorstellen. Ich bin froh, dass ich mich für diesen Weg entschieden habe, und freue mich auf alle Erlebnisse in der Zukunft.
Das Gesundheitswesen, insbesondere im Zusammenhang mit der Digitalisierung, bietet noch sehr viele Gestaltungsmöglichkeiten. Die großen Innovationen stehen uns noch bevor.