"Krankenhäuser können sich noch einiges von der Industrie abschauen"

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Svenja Skrzipales Steckenpferd ist das Klinikmanagement, genauer gesagt die OP-Planung. Als Geschäftsführerin von nextOR entwickelte sie eine KI-basierte Lösung für bessere Abläufe rund um Operationen. Mit Simeon Atkinson spricht sie darüber, wie Kliniken in diesem hochsensiblen Umfeld Wandel gestalten können.

Svenja, in unserem Vorgespräch hast du gesagt, die OP als Taktgeber des Krankenhauses sei aus dem Takt geraten. Was meinst du damit und warum ist das ein Problem?


Kern von Operationen ist die erfolgreichen Durchführung von Eingriffen an Patient*innen. Am operativen Geschehen selbst sind allerdings viele Stakeholder beteiligt, die einerseits alle individuelle und unterschiedliche Belange verfolgen, andererseits aber eines gemeinsam haben: Interesse an einer zuverlässigen Planung.

Diese existiert aktuell nur sehr bedingt, sie ist aufgrund unterschiedlicher Faktoren aus dem Takt geraten. Das volatile Umfeld, in dem sich das Krankenhaus und auch der OP-Betrieb befinden, ist nicht zu 100 Prozent planbar. Krankheitsausfälle von Kolleg*innen oder Patient*innen und Notfälle sind hier nur drei Beispiele für nicht vorhersehbare Einflussfaktoren, die Umplanungen erforderlich machen.

Für Patient*innen sind Umplanungen oft mit Absagen oder Verschiebungen verbunden. Dies bindet ein enormes Zeitkontingent für administrativ-organisatorische Tätigkeiten, was insbesondere den medizinisch qualifizierten Kolleg*innen Zeit für die Patienten*innen-Versorgung raubt. In der Folge nutzen wir den operativen Bereich nicht effizient aus. Gerade Letzteres unterstreicht, warum die Taktgebung im OP-Betrieb auch von wirtschaftlichem Interesse ist.

Wo bist du zum ersten Mal mit diesem Thema in Kontakt gekommen? Und wie hast du den Weg in die Welt der Software gefunden?


Vor 15 Jahren bin ich das erste Mal mit dem OP in Kontakt gekommen, als ich mich im Krankenhausmanagement mit den Prozessabläufen beschäftigt habe. Im Jahr 2016 begann ich bei der UNITY AG, einer renommierten Unternehmensberatung, bei der ich mich – neben anderen spannenden Themen – auf die Prozessoptimierung in Verbindung mit digitaler Transformation im Krankenhaus konzentriert habe. Hier entstand aus Simulationsprojekten im OP auch die erste Idee für einen systembasierten Ansatz zur Unterstützung der OP-Planung. Wir haben im OP-Bereich aufgrund der Dokumentationsanforderungen ein gutes Datenfundament der Vergangenheit, das wir mit nextOR nun für die Zukunft nutzen.

nextOR ist also ein Resultat aus über 20 Jahren Unternehmensberatung der UNITY im Krankenhaus. Es wurde aus den Prozessen der Krankenhäuser heraus entwickelt und ist heute ein eigenes Start-up, das sich weiterhin in der UNITY Innovation Alliance befindet.

In der Beratung ist wahrscheinlich immer wieder zu sehen, wie aufwendig administrative Aufgaben sind, die das Personal vom Patientenbett wegbringen. Was lässt sich hier rund um die OP verbessern?

Zum einen die Planung der Operationen direkt nach der Stellung einer operativen Indikation und der Anmeldung eines Eingriffs: Das Beplanen der jeweiligen OP-Slots der Fachabteilungen erfolgt sehr individuell und bindet Kapazitäten bei unterschiedlichen Berufsgruppen, beispielsweise Ärzt*innen, Case-Manager*innen und Sekretariaten.

Mit nextOR erfolgt eine automatische Prüfung der Verfügbarkeiten der benötigten Ressourcen, die in einen konkreten Vorschlag für die Dauer und den Zeitpunkt der Durchführung einer OP mündet. Der Aufwand für manuelle Informationsbeschaffung oder Telefonate wird auf ein Minimum reduziert und könnte sogar ganze Berufsgruppen aus dem Planungsprozess herausnehmen.
Zum anderen unterstützt nextOR das OP-Management am Tag der OP aktiv und in Echtzeit mit Vorschlägen. Das heißt, bei zusätzlichen Fällen oder Fällen, die aktuell aufgrund von Abwesenheiten nicht operiert werden können, ist bereits geprüft, was im Tagesverlauf wie durchgeführt werden kann. Das OP- Management kann den Vorschlag prüfen, überarbeiten oder akzeptieren, der Mensch hat immer das letzte Wort. Auch hier wird der Aufwand für Recherchen, Telefonate und Organisation für das OP-Management deutlich reduziert.

Aktuell stehen wir vor der Situation, dass eine Ambulantisierung geplant ist. Mehr OPs als bisher sollen in Zukunft ohne stationären Aufenthalt erfolgen. Wie beeinflusst das den Umgang mit OPs im Klinikum?

Durch die Ambulantisierung wurden Operationen in den AOP-Katalog [Anm.: Katalog ambulant durchführbarer Operationen] aufgenommen, die zukünftig nicht mehr oder nur begrenzt vergütet werden, wenn sie stationär erfolgen. Dies setzt die Krankenhäuser ein Stück weit unter Druck, da sich die Abläufe von ambulanten und stationären Eingriffen unterscheiden und gegebenenfalls neue bauliche Strukturen erforderlich werden.

Wichtig ist, im ersten Schritt eine Entscheidung darüber zu treffen, wie und wo ambulant operiert werden soll. Eine Prozessskizze von der Patientenaufnahme bis zur Entlassung am gleichen Tag macht transparent, was vorhanden ist und was fehlt. Datenanalysen eignen sich als Grundlage, um die Fallzahlen und die erforderlichen Dimensionen der Infrastruktur und des Personals abzuleiten.

Bei der konkreten Planung der Patient*innen gilt für ambulantes Operieren Folgendes: Bereits bei der Anmeldung sollte auf Basis der Diagnose und des geplanten Eingriffs eindeutig sein, ob eine ambulante oder stationäre Behandlung erfolgt. Fällt der geplante Eingriff in den AOP-Katalog, greift sofort der ambulante Prozessablauf – abgesehen von wenigen Ausnahmen.

Bei einer Entscheidung für das ambulante Operieren – beispielsweise im Rahmen eines Ambulanten OP-Zentrums (AOZ) – gilt es, eine enge Taktung und maximale Auslastung zu realisieren. Dies kann von nextOR systemisch und in Echtzeit unterstützt werden, ist im gleichen Atemzug jedoch auch auf der Prozessseite optimal umzusetzen.

Dabei ist ein Bewusstsein für Prozessdisziplin berufsgruppenübergreifend essenziell. Ein AOZ kann dann sehr erfolgreich betrieben werden, wenn die Planung und die Umsetzung ineinandergreifen und die Theorie ohne Verzug in der Praxis umgesetzt werden kann – ab dem Zeitpunkt der Planung eines Eingriffs.

Wenn Kliniken sich entsprechend umorganisieren müssen, erfordert das gleichzeitig einen Umbau von Strukturen und vor allem ein Umdenken. Welche Erfahrungen hast du gesammelt? Wie gelingt so etwas?

Krankenhäuser sind Unternehmen, die sich für mich auch heute noch einiges von der Industrie abschauen können, insbesondere in den Bereichen Digitalisierung und Organisation. Ein wesentlicher Unterschied bleibt immer: Behandelt werden Menschen – von Menschen. Wir stellen keine Produkte her. Für mich und uns ist es unabdingbar, die Kolleg*innen im Krankenhaus mit in eine Veränderung einzubeziehen, denn sie leben diese neuen Prozesse. Die Einführung von nextOR ist beispielsweise alles andere als ein reines IT-Projekt: Wir begleiten unsere Kund*innen sowohl technisch als auch prozessual.

Aus meiner Erfahrung gelingt ein solches Vorhaben, wenn wir schnellstmöglich kleine Erfolge erzielen, die den Beteiligten verdeutlichen, dass sich Abläufe positiv verändern können. Dies ist in der Vergangenheit gerade bei der Einführung von neuer Software leider ausgeblieben, was zur heutigen Skepsis der Beteiligten beiträgt. Für Optimierungen haben die Expert*innen vor Ort meist schon hervorragende Ideen, die wir mit der Einführung kombinieren. In jedem Einführungsprojekt gilt es, Gegenwind auszuhalten und auch schwierige Situationen zu meistern. Es gibt Entscheidungen, die zu treffen und umzusetzen sind, auch, wenn sie nicht an allen Stellen auf Beliebtheit stoßen.

Für mich ist wichtig, meine Kunden dabei zu unterstützen, diese Entscheidungen zu treffen und so nachvollziehbar wie möglich zu machen. Ein aktives Stakeholder-Management auf allen Ebenen ist und bleibt für mich persönlich der Schlüssel zum Erfolg.

Welchen Kliniken gelingt das besonders gut? Gibt es Erfolgskriterien?

Bei nextOR handelt es sich um eine Software, die sehr fortschrittlich ist. Krankenhäuser, die beispielsweise die Dokumentation komplett digitalisiert haben und auch die OP-Anmeldung in führenden Systemen durchführen, haben – was die technische Anbindung angeht – sehr gute Voraussetzungen. Für die Kolleg*innen auf medizinischer Seite ist eine Affinität für innovative Ansätze eine optimale Grundlage. Am Ende ist jede Roadmap aber individuell.