"Technologie als Schlüssel zur positiven Veränderung des Gesundheitssystems"
Innerhalb weniger Jahre ist die Entlassmanagement-Plattform von Recare zur Standardlösung in deutschen Krankenhäusern geworden. Verantwortlich für den Erfolg sind Maximilian Greschke und sein 90-köpfiges Team. Im Interview mit Simeon Atkinson bietet der Geschäftsführer und Gründer einen tiefen Einblick in die Entwicklung von Recare und hinter die Kulissen des Health-Tech-Unternehmens.
Max, vor der Gründung von Recare hattest du bereits eine Plattform für die ambulante Pflege entwickelt. Wie hast du den Weg ins Gesundheitswesen gefunden?
Mein Weg ins Gesundheitswesen ist zu großen Teilen familiär bedingt. Seinen Anfang nahm er am Abendbrottisch mit meiner Frau, die Medizinerin ist, und meiner Stiefmutter, die aus der Pflege kommt. So wurde fast täglich deutlich, wie groß die Herausforderungen in der Akut- und Nachversorgung sind und dass niemand das so richtig anzugehen scheint.
Mit meinem ersten Start-up Veyo Care hatten meine damaligen Mitgründer und ich das Ziel, die Pflege zu Hause digital zu koordinieren – zum einen mit einer App, in der Pflegebedürftige und ihre Angehörigen sehen konnten, wann die Pflegekraft zu Besuch war und was sie gemacht hat. Zum anderen mit einer App für die Koordination der Pflegekräfte.
Aber wir mussten uns nach kurzer Zeit eingestehen, dass unsere Technologie das Kernproblem des Pflegekräftemangels nicht lösen kann. Je mehr wir uns mit dem Gesundheitspersonal in Krankenhäusern unterhielten, desto besser begriffen wir, dass wir viel mehr helfen können, wenn wir an anderer Stelle ansetzen.
Indirekt gibt es Veyo Care heute noch, denn das Unternehmen ist in Recare aufgegangen, aber ihr macht etwas anderes. Worauf fokussiert sich Recare und was war der Auslöser für den Schwenk?
In den erwähnten Gesprächen mit Kliniken wurde schnell klar, dass das Entlassmanagement der Patient*innen mit Nachsorgebedarf aus ihrer Sicht die größere Herausforderung darstellt. 2017 wurden dann mit dem „Rahmenvertrag für Entlassmanagement“ die regulatorischen Weichen für eine Veränderung in diesem Bereich gestellt.
Der Entlassmanagement-Prozess verlief bis dahin – und verläuft an zu vielen Stellen bis heute – sehr analog, sprich: Der für den Prozess verantwortliche Sozialdienst organisiert die Überleitung der Patient*innen in zeitaufwendigen Telefonaten oder per Faxanfragen. Das wollten wir ändern. Daher war 2017 die Geburtsstunde von Recare. Das Unternehmen habe ich gemeinsam mit unserem langjährigen CTO Charles Cote gegründet.
Unsere SaaS-Plattform ist ein neutraler Marktplatz, was bedeutet: Wir sind kein Akteur, sondern stellen nur die Technologie und Infrastruktur, damit die mittlerweile 700 Akutkrankenhäuser, 650 Rehakliniken sowie 24.000 weiteren nachgelagerten Leistungserbringer aus den Bereichen Pflege und Hilfsmittel/Homecare zueinanderfinden können. Wir vereinfachen Entlass- und Überleitungsprozesse von Patient*innen, die nach ihrem Krankenhausaufenthalt eine weitere Versorgung benötigen, machen sie effizienter und haben vor allem die Optimierung der Verweildauer im Blick.
Direkt im ersten Jahr wuchs unser Team und gegen Ende 2017 zählten wir bereits die ersten 1.000 Nachversorger auf unserer Plattform. So ist alles ins Rollen gekommen und es stellte sich schnell heraus, dass die Entscheidung, das Business Model von Veyo Care komplett neu zu denken, genau die richtige war.
Und dann hat euch das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) noch mehr Schwung gegeben …
Das KHZG ist ein zweischneidiges Schwert, denn einerseits ist es für uns gewissermaßen ein Booster. Mit unserer Recare-Plattform erfüllten wir von Anfang an die sogenannten Muss-Kriterien des KHZG. Dass digitales Entlassmanagement von da an komplett förderfähig war, hat uns geholfen, neue Kunden zu gewinnen. Andererseits bringen die damit verbundenen Ausschreibungen eine hinreichende Komplexität für die gesamte Branche mit sich.
Aber wir sind unseren Weg gegangen und mittlerweile kommt unsere Technologie in zahlreichen Klinikketten und Häusern aller Größen und Trägerformen zum Einsatz, kann sich mit allen bekannten KIS-Systemen verbinden und der Marktplatz wächst auch auf der Nachversorgerseite stetig.
Ihr seid zwar auch in Frankreich aktiv, doch euer Fokus liegt auf dem deutschen Markt. Was wollt ihr hier in Zukunft erreichen?
Ziel für die nächsten Monate ist insbesondere, unseren Marktplatz in Deutschland nochmal deutlich auszubauen. Denn es liegt in der Natur der Sache, dass den Kliniken und auch den Nachversorgern wie Pflege- und Rehaeinrichtungen am meisten geholfen ist, wenn es ein möglichst flächendeckendes Netzwerk und eine zentrale Plattform für digitale Entlass- und Überleitungsprozesse gibt. Das Fachpersonal in Krankenhäusern muss sich ohnehin schon mit vielen Lösungen und Tools auseinandersetzen, da braucht es nicht noch diverse Technologien für dieselbe Sache.
Dabei hilft euch eine starke Marke. 2023 gab es einen neuen Anstrich für Recare. Was waren die Überlegungen dahinter?
Es gab nicht nur einen neuen Anstrich, sondern wir haben unsere Marke einem kompletten Rebranding unterzogen. Unsere Reputation war gut, unsere Bekanntheit auch, aber unsere Positionierung war nicht eindeutig genug. Das wollten wir ändern und – übrigens intern wie extern – in den Köpfen verankern: Recare ist ein Technologieunternehmen und steht für einfaches und effizientes digitales Entlassmanagement.
Passend dazu haben wir unser Produktportfolio verschlankt und konzentrieren uns voll auf unser Kern-Business. Darüber hinaus haben wir mit dem Rebranding unsere Zielgruppen und ihre Ansprache geschärft und nutzen, unserem Markenkern entsprechend, eine zugänglichere und nahbarere Sprache als zuvor.
Zudem sollte der optische Part, also unser Corporate Design, unseren Reifegrad verdeutlichen, also dass wir uns nicht mehr in der Frühphase befinden, sondern ein etabliertes Unternehmen sind. Der Anspruch an operative Exzellenz und modernste Sicherheits- und Technologiestandards sollte sich auch in unserem Design widerspiegeln. Ich denke, das ist uns gut gelungen.
Wie würdest du eure Corporate Identity zusammenfassen?
Als HealthTech-Unternehmen sind wir davon überzeugt, dass Technologie der Schlüssel zur positiven Veränderung des Gesundheitssystems ist. Wir verstehen uns als visionäre Expert*innen, empathische Mentor*innen und verlässliche Partner*innen.
Konkret bedeutet das: Wir respektieren die starke Tradition und die Komplexität des Gesundheitswesens, fordern den Status quo aber mit offenem Geist, fundierten Branchenkenntnissen und Innovationen heraus. Daher fördern wir innerhalb unseres Teams die Neugierde und den Willen zur kontinuierlichen Verbesserung ganz besonders. Wir glauben daran, dass man aus Herausforderungen und Erfolgen gleichermaßen lernen kann. Dazu beziehen wir alle unsere Stakeholder ein und setzen auf Beständigkeit und beidseitiges Vertrauen. Am Ende geht es um kompromisslose Integrität.
Um diese Identität bei den Kliniken als eurer Hauptzielgruppe zu verankern, setzt ihr ganz besonders auf persönliche Kontakte. Welche Rolle spielt dein eigener Auftritt in diesem Zusammenhang?
Meine Rolle hat sich über die Jahre – vermutlich wie bei den meisten Gründer*innen – ständig gewandelt. Anfangs habe ich alle Kundengespräche selbst geführt und gepitcht. Über die Jahre ist das immer weniger geworden, was bei einem wachsenden Unternehmen mit wachsenden Strukturen ja auch richtig ist. Wir haben heute sowohl ein starkes Leadership-Team als auch ein starkes Team insgesamt, daher gehe ich eher selten persönlich mit in Gespräche.
Auf Events nehme ich jedoch gerne eine Speaker-Rolle ein und versuche, die Dinge in einen größeren Kontext zu setzen und Impulse für Veränderungen zu geben. Dort mische ich mich auch gerne unter die Menge und tausche mich mit bekannten und noch unbekannten Gesichtern aus. Denn eins ist völlig klar: Vertrauen in Technologie entsteht auch durch persönlichen Austausch und kontinuierliches Einholen von Feedback.
Wenn sich sowohl die Position von Recare als auch deine eigene in der Kliniklandschaft immer mehr festigen, kannst du dann einen weiteren Pivot für die Zukunft ausschließen?
In den kommenden Monaten steht wie gesagt erstmal der Ausbau unseres Marktplatzes im Fokus. Wir werden zudem das Produkt, das unsere Kunden kennen und schätzen, weiter optimieren, um zum einen den Sozialdienst weiter zu entlasten und zum anderen die Verweildauer von Patient*innen mit Nachsorgebedarf weiter zu optimieren. Gleichzeitig ist die Digitalisierung des Gesundheitswesens nach Ende des KHZG noch nicht abgeschlossen, sodass wir sicherlich in einigen Jahren auch an anderen Themen arbeiten werden.