Trotz AI-Tool-Hype: Beratung bleibt relevant

Gerald Hensel von der AI-first Marketing Consultancy superspring beschreibt im Gespräch mit Achtung! CEO Mirko Kaminski, wie superspring Marke, Strategie und KI als System denkt: mit klaren Rollen, Standards und Freigaben. Der Case „Jägermeister-Maschine“ verdeutlicht, wie Innovationsprozesse an sich mittels KI innovativ gestaltet werden können.
Was macht superspring besonders und welche Rolle spielt dabei KI?
Wir sind drei erfahrene Marketing-Hasen, die ausgerechnet am Tag der russischen Invasion in der Ukraine ihre Beratung gegründet haben. Die anschließende Wirtschaftskrise hat uns zunächst stark beschäftigt. Mit GenAI haben wir dann aber schnell gelernt, wie wir in Krisenzeiten für unsere Kund:innen Extrameter gehen können. Das war unser Pivot. Heute berät superspring Unternehmen AI-first an der Schnittstelle von Marke, Strategie und Künstlicher Intelligenz.
Ihr habt die „Jägermeister-Maschine“ entwickelt. Wie funktioniert die?
Die Jägermeister-Maschine war der erfolgreiche Versuch, einen etablierten Produkt-Innovationsprozess mit AI zu verbessern. Wir haben uns intensiv damit beschäftigt, wie ein Kreativprozess, der ganze Märkte und Teams einbindet, noch mehr Wirkung entfalten kann. Unsere These: Mensch und Maschine müssen so zusammenarbeiten, dass sie sich gegenseitig beflügeln, ohne sich zu stören. Das Ergebnis war ein Innovationsprozess, der selbst innovativ war – und aus dem inzwischen die ersten physischen Produkte hervorgehen.
Neben der Jägermeister-Maschine: Welche weiteren KI-Anwendungen nutzt ihr bei superspring? Was bedeutet AI-first für euch?
Wir nutzen viele der Anwendungen, die auch andere einsetzen. Der Unterschied liegt darin, dass wir AI nicht nur ständig ausprobieren, sondern sie systematisch als Alternative zu analogen Methoden verproben und eng mit unseren eigenen Prozessen vernetzen. So haben wir auf unterschiedlichen Ebenen ein gutes Verständnis für das Zusammenspiel von Mensch und Maschine entwickelt. Genau dieses Zusammenspiel macht in unserer AI-Ära den Unterschied – weit mehr als irgendein Tool, das ohnehin allen bekannt ist.
Wie verändert das die kreative Arbeit – und welche Rolle spielt menschliche Kreativität künftig?
Wir alle sind gerade dabei, das herauszufinden. Aus früheren Transformationen gibt es einige Anhaltspunkte, aber vieles ist neu. AI ist eine wirklich große, transformative Technologie. Natürlich gilt auch hier der Gartner Hype Cycle („nicht alles wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird“). Trotzdem ist klar: Kreative Wertschöpfung – und noch mehr als das reine Kreativsein – muss neu gedacht werden. In den kommenden Jahren werden viele Jobs verschwinden, aber es entstehen auch neue, die wir heute noch nicht kennen – auch in der Kreativindustrie. In dieser Gemengelage wird menschliche Kreativität notwendig bleiben, aber nicht mehr ausreichen, um allein auf Kurs zu bleiben.
Es gab bereits Insolvenzen namhafter Agenturen. Teilweise wurde das mit KI begründet. Wann ist KI für Agenturen Chance, wann Risiko?
Ich glaube, die meisten Pleiten waren weniger Folge der AI-Revolution als vielmehr der wirtschaftlichen Stagnation. Aber klar: AI ist zunächst ein Risiko. Vor allem für Agenturen, die ihren Umsatz stark mit handwerklichem Kleinkram machen. Oft wird behauptet, man müsse jetzt einfach „superkreativ“ sein, und dann gehe es schon weiter. Doch das stimmt nicht. Ein Großteil der Agenturen verdient sein Geld mit Tätigkeiten, die AI heute oder bald übernehmen kann. Ohne guten Plan ist das ein Risiko.
Welche Haltungen und Nutzungen von KI siehst du aktuell auf Kundenseite?
Es läuft wie bei früheren Transformationen. Erst wird die neue Technologie belächelt. Dann kommen die jungen Wilden mit Leuchtturmprojekten. Anschließend ziehen Legal und IT nach (bei Social Media war es fast genauso). Irgendwann werden die Veränderungen in lange Projektpläne gegossen, und erst später entsteht echter Wert. Ich wünsche mir, dass die deutsche Wirtschaft diesmal schneller erkennt: AI ist ein transformatives Querschnittsthema – kein Drei-Jahres-Prozess.
Wie verändert KI das Zusammenspiel von Strateg:innen, Kreativen und Technologie – und auch die Beziehung zwischen Kunde und Agentur?
Wenn KI als eigenständiger Akteur im Raum sitzt, braucht man den Rest des Teams nicht mehr.
Wenn wir fünf Jahre nach vorn blicken: Wie wird KI Markenführung und Kommunikation grundlegend verändern – und welche Rolle bleibt Agenturen?
Zuerst die schlechte Nachricht: Viele Agenturen wird es nicht mehr geben. Sie werden ihre Legacy-Strukturen nicht schnell genug ersetzen können. 2025 bis 2027 werden harte Jahre für viele in der Branche. Manche werden neue Nischen finden und neue Agenturmodelle aufbauen – teils kompatibel mit der alten Welt, teils nicht. Danach dürfte es eine Konsolidierung geben. AI wird sich weiterentwickeln, aber viele Maximalszenarien sind Propaganda aus der AI-Bubble, der wir ständig ausgesetzt sind. Vieles lässt sich nicht vollautomatisieren – entweder weil es qualitativ nicht reicht oder weil der Mensch doch gebraucht wird. Kundenberatung bleibt relevant. Ein großer Mittelständler aus dem Schwarzwald wird auch 2030 sein Briefing nicht einer API überlassen. Hinzu kommt das Generationenproblem: Wenn wir alle Junior:innen durch AI ersetzen, fehlen bald Middle-Management und Führung. Da sind noch viele Eier ungelegt. Ich selbst bin überzeugt: Die Technologie verändert Agenturen massiv, aber das Agenturmodell wird weiter existieren – nur in neuer Form.