„Diversity sollte kein gegenseitiger Wettbewerb sein“

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Vielfalt ist in der Agenturlandschaft eines der meistbesprochenen Themen der letzten Jahre. Doch wie packen Agenturen Geschlechtergleichstellung, Akzeptanz sexueller Orientierung und Co. richtig an? Ein Gespräch mit Claudia Diaz Sanchez (GWA Vorstand Ressort DE&I, ressourcenmangel) und Isabelle Rogat (GWA Young Board, thjnk) – über den GWA als verbindendes Netzwerk, Handlungsbedarf im Bereich Diversität und darüber, was jede*r tun kann.

Neben Achtung! sind über 130 weitere deutsche Agenturen Mitglied des Gesamtverbands Kommunikationsagenturen – des GWA. Welche Angebote bietet der GWA im Bereich Diversity und warum ist dabei der Netzwerkgedanke so wichtig?


Claudia:
Die Angebote, die wir bieten, sind total vielfältig. Von Leitfäden zu geschlechtergerechter Sprache für die Agenturen über Studien zu Diversität bis hin zu regelmäßigen DE&I-Netzwerk-Terminen zu Themen wie Inklusion in der Bildsprache mit Expert*innen ist vieles dabei. Aktuell planen wir kostengünstigere Schulungsangebote für die Agenturen – von Mid- bis Top-Level. Unser Ziel ist es, Transparenz zwischen den Agenturen zu schaffen und aufzuzeigen, wo die Branche besser werden kann.

Isabelle:
Den GWA als Netzwerk zu verstehen und den Gedanken dahinter zu fördern, ist zudem sehr wichtig. Denn nur so können wir insbesondere in den DE&I-Terminen voneinander lernen, uns gegenseitig inspirieren und gemeinsam als Netzwerk unsere Agenturen so gestalten, dass sich jede*r geachtet und respektiert fühlt. Es gibt Bereiche, in denen wir als Agenturen im direkten Wettbewerb stehen. Der Umgang mit Diversität sollte niemals Teil dessen sein. Genau das ist der Grund, warum wir uns bei thjnk entschieden haben, unsere Expertise zu teilen – weil wir uns bei dem Thema einfach nicht leisten können, gegeneinander zu arbeiten.

Wenn wir über Diversity sprechen, dann sprechen wir nicht nur von der sexuellen Orientierung, sondern auch von breiteren Themengebieten wie soziale Herkunft, körperliche und geistige Fähigkeiten oder dem Alter – wo besteht aktuell besonderer Handlungsbedarf in Agenturen?


Claudia:
Ich sehe vor allem bei der Geschlechterverteilung in den Führungsebenen Handlungsbedarf. Ich kann nicht ganz verstehen, warum Frauen dort noch so unterrepräsentiert sind oder sogar schlechter bezahlt werden. Bei den Kreativen ist das leider besonders ausgeprägt. Die Agenturbranche ist außerdem, auch wenn sich vieles ins Positive verändert hat, eine eher elitäre Branche. Menschen mit Migrationshintergrund oder ohne abgeschlossenes Studium trifft man seltener und das sollten wir ändern.

Isabelle:
Viel fängt mit dem grundsätzlichen Bewusstsein an zu erkennen, wo es in der eigenen Organisation Handlungsbedarf gibt – jede Agentur hat da ihre eigenen Missstände. Und ganz zentral – mehr und genauer zuhören. Nur so können wir nämlich die Needs von diskriminierten Gruppen erkennen, angehen und diskriminierende Strukturen auflösen, die sich über Jahre festgefahren haben.

Was können Mitarbeitende tun, um selbst Diversity mit all den Facetten im beruflichen Kontext zu implementieren?


Claudia:
Die Diversity-Bewegung kommt vor allem „von unten“. Sie wird von Mitarbeitenden angeführt und weniger von den Führungskräften. Es ist schon fast eine Revolution. Viele Agenturen wie Achtung! haben mittlerweile Arbeitsgruppen, die sich dem Thema angenommen haben und daran arbeiten. Das finde ich total schön und möchte Mitarbeitende in erster Linie dazu ermutigen, sich für die Themen, die sie bewegen und die sie wichtig finden, einzusetzen.

Isabelle:
Vielen ist auch gar nicht bewusst, dass ihre Arbeit einen direkten Einfluss darauf hat, wie wir die Welt und auch bestimmte Menschengruppen sehen. Mitarbeitende sollten alle ihre Arbeitsbereiche hinterfragen. Beispiel: Kommen in meinem nächsten Talk-Panel zu Rassismus auch Betroffene zu Wort? Sind in meiner geplanten OOH-Kampagne nicht nur weiße Cis-Menschen zu sehen? Kann ich Casting-Prozesse so optimieren, dass nicht immer nur bestimmte Bevölkerungsgruppen für Werbefilme meiner Kund*innen in Erwägung gezogen werden?

Was lässt dich persönlich für mehr Vielfalt brennen?

Claudia: Ich selbst bin auf Kuba geboren und mit acht Jahren nach Berlin gekommen; später ging es nach Madrid auf eine deutsche Schule. Obwohl ich immer eine Verbindung zu Deutschland hatte, bleibe ich Ausländerin. Dann bin ich auch noch eine Frau und neuerdings Mutter – da kommt einiges an „Diversitätsthemen“ zusammen, die mich antreiben und für die ich Empathie und Verständnis habe. Das sind unter anderem Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder besser gesagt Beruf und Leben, Zugänge von Menschen mit Migrationshintergrund – auch in den oberen Etagen –, aber auch eine diverse Sicht auf die Kommunikationsprodukte, die wir konzipieren und umsetzen. Im Vergleich zu anderen Themen in unseren Agenturen hat Diversität mit allen Dimensionen eine übergeordnete gesellschaftliche Relevanz.

Isabelle:
Ich möchte Ally sein – also eine Verbündete von marginalisierten und diskriminierten Gruppen. Ein monumentaler Teil davon ist für mich, jeden Tag neue Dinge zu lernen. Ich bin mir meiner Privilegien sehr bewusst und möchte sie für die richtigen Dinge einsetzen – im Kleinen aber auch im Großen. Zu sehen, dass wir mit dem Diversity Hub bei thjnk zu diesem Thema eine Systematisierung bieten können und so aus privatem Engagement ein Mehrwert für unsere Agentur und Kund*innen werden kann, ist wundervoll zu beobachten.