Im Interview zur unterschriebenen Charta der Vielfalt: Mirko Kaminski

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Am 31. Mai jährt sich der deutsche Diversity-Tag unter dem Motto „Let’s celebrate Diversity“ zum zehnten Mal. Passend dazu hat Achtung! vor Kurzem die Charta der Vielfalt unterschrieben. Daniel Rehn aus der im Herbst 2021 gegründeten Vielfalts-Taskforce bei Achtung! hat den CEO über die Beweggründe zur Unterzeichnung der Charta und die Aktivitäten in Sachen Diversity befragt.


Mirko, die Charta der Vielfalt ist unterschrieben. Glückwunsch dazu. Aber für den Einstieg ins Gespräch direkt einmal überspitzt gefragt: Sind wir jetzt als Agentur zertifiziert divers?

(Lacht) Nein. Natürlich nicht. Das wäre auch viel zu einfach und würde dem Gedanken hinter der Charta der Vielfalt auch nicht gerecht werden. Wir sehen die Unterzeichnung als Ansporn und Versprechen, uns für ein – ich zitiere – „wertschätzendes und vorurteilsfreies Arbeitsumfeld“ einzusetzen.

Es ist eine Selbstverpflichtung, an der wir uns täglich messen lassen wollen und sollten.


Heißt das im Umkehrschluss, dass es dieses wertschätzende und vorurteilsfreie Arbeitsumfeld noch nicht gab?

Wertschätzung gab und gibt es bei uns auf jeden Fall. Das passiert im Großen wie im Kleinen. Egal, ob zu Jubiläen oder zur Anerkennung guter Arbeit bei Pitches, im Daily Business und in den Teams selbst. Wir können uns aus meiner Sicht nicht über unsere Unternehmenskultur beschweren, selbst wenn die letzten zwei Coronajahre sehr an allem gezerrt und gezehrt haben. Ich nehme von den Kolleginnen und Kollegen bei uns hier in Hamburg, aber auch an den Standorten in Berlin, Köln und Düsseldorf allerdings wahr, dass es uns ganz gut geht.

Man kann aber dennoch den Status quo betrachten und feststellen, dass es immer noch etwas besser geht. Man muss bei einem weiten Feld wie Vorurteilen einfach so ehrlich sein und sagen, dass niemand frei von ihnen ist. Du nicht. Ich nicht. Niemand.


Denn egal, ob bewusst oder unbewusst, wir haben alle unsere Vorurteile.

Genau. Und hier wollen wir unter anderem auch ansetzen. Wir wollen und müssen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass wir alle von Vorurteilen geprägt sind und auch (fehl-)geleitet werden. Allein das zu realisieren, ist ein riesengroßer Schritt nach vorn, um eine Arbeitsumgebung und Kultur zu schaffen, die Vielfalt ermöglicht, was so viel mehr ist als das, was normalerweise in den Köpfen der Leute rumspukt.


Beim Stichwort Vielfalt denken viele direkt an die in den letzten Jahren oft strapazierten Aspekte wie sexuelle Orientierung und Geschlechteridentität oder aber an eine andere Herkunft oder Ethnie.

Diese Aspekte sind richtig und wichtig. Keine Frage. Es gibt aber noch weitaus mehr im Kontext Vielfalt zu bedenken, was oft vergessen wird.


Alter, soziale Herkunft, körperliche und geistige Fähigkeiten …

Die Liste ist lang, ja. Je intensiver man sich mit jedem Punkt befasst, umso mehr merkt man, wo es bei einem selbst noch Nachholbedarf gibt.


Würdest du sagen, dass Achtung! im Speziellen oder die Kommunikationsbranche im größeren Sinne dahingehend in den letzten Jahren gepennt haben?

Wenn wir auch in diesem Punkt ganz ehrlich miteinander sind, dann müssen wir uns eingestehen, beim Thema Vielfalt spät dran zu sein. Als Agentur haben wir leider erst damit begonnen, unsere Bemühungen im Spätsommer 2021 zu forcieren, nachdem wir mit einem ersten Vorstoß zu sehr Top-down starten wollten. Wir hatten eine Vorstellung im Kopf, wie man Vielfalt präsentieren und diskutieren müsste, die mit unserer Lebenswirklichkeit aus der Führungsebene heraus vereinbar war – aber eben nicht mit der Realität der meisten. Das war eine Erfahrung, die wir wohl machen mussten. Hier sind wir sensibler geworden und haben auf ein Neues gelernt, besser zuzuhören.


Aus dem Feedback der Kolleginnen und Kollegen erwuchs am Ende ein Dialog mit dir, der unter anderem in der Gründung unserer Arbeitsgruppe Vielfalt mündete – ein Team aus mittlerweile sieben Mitstreiter*innen an unseren Standorten in Hamburg, Köln und Düsseldorf, die dich und die GF laufend beraten und für Sparrings bereitstehen.

Wir als Geschäftsführung und ich im Besonderen haben verstanden, dass wir mit dem Feedback aus dem Kreis der Mitarbeitenden besser und smarter an das Thema herantreten müssen. Die Kolleginnen und Kollegen, die mit dir heute den Kern der Arbeitsgruppe bilden, waren damals mit die lautesten Kritiker*innen des ersten Aufschlags. Ihr habt aber auch direkt eure Hilfe angeboten, um es besser zu machen. Diese Hilfe von euch, die ihr tiefer im Thema seid oder eben aus eigenen, teils auch negativen Erfahrungen heraus berichten könnt, nicht anzunehmen, wäre fahrlässig gewesen.

Seitdem haben wir Fortschritte gemacht. Wir haben mit Unterstützung der Arbeitsgruppe gemeinsam ein agenturweit gültiges Statement pro Vielfalt bei Achtung! etabliert, eine Guideline für gendergerechte Sprache und Formulierungen in unserer Kommunikation eingeführt, unsere Stellenausschreibungen und Website mit Blick auf mehr Inklusion überarbeitet, die eingangs erwähnte Charta unterschrieben und sind im Hintergrund weiterhin dabei, Anstrengungen zu unternehmen, um zusätzliche Schritte nach vorne zu machen. Aber: Es ist noch viel zu tun.


Und die Branche? Welche Entwicklungen siehst du da?

Auch hier ist ganz viel Bewegung drin, die es bei der Vielzahl an Baustellen definitiv braucht.

Ein Beispiel ist der Gesamtverband Kommunikationsagenturen GWA e.V., dem wir als Achtung! auch angehören und dessen Vizepräsident ich bin. Er untersucht nicht nur laufend den Status quo zu Diversity in der Agenturbranche, sondern pusht das Thema als Verband auch. Unter anderem mit dem Netzwerk Diversity, Equity & Inclusion, in dem der regelmäßige Austausch zwischen den Agenturen eine Sensibilisierung für mehr DE&I und die allgemeine Verbesserung der Situation vorantreibt. Ein ungemein wichtiges und wertvolles Angebot, bei dem wir gerne regelmäßig als Gast dabei sind. Zum Glück, muss ich sagen.

Um auch in Zukunft ein Umfeld für Talente und Kreativität zu sein, müssen wir uns als Agenturen, Unternehmen und Kommunikationsbranche weiterentwickeln. Wenn wir das nämlich nicht ernsthaft angehen, dann wird sich der Mangel an Mitarbeitenden weiter verschärfen. Allein jetzt fehlen den gut 140 Mitgliedsagenturen der GWA eigenen Schätzungen nach an die 10.000 Leute. Viele dieser Stellen könnten sicher besetzt werden, wenn wir als Arbeitgeber attraktiver, durchlässiger und offener für Kandidat*innen wären – etwa für Quereinsteiger*innen, die eben nicht den obligatorischen Medien- oder Kommunikationsstudiengang absolviert haben. Oder aber, indem wir Bewerber*innen berücksichtigen, die sich jenseits der 40 oder 50 befinden, aber ganz viel Erfahrung einbringen könnten, wenn man diese richtig anzapft und integriert. Die sind salopp gesagt weder unterqualifiziert oder zu alt, die sind einfach nur anders als das, was wir im Arbeitsalltag mitbekommen und wahrnehmen.

Dazu gehört eben auch sicherzustellen, dass ein Arbeitsumfeld geschaffen wird, das wertschätzend ist und vorurteilsfrei. Womit wir wieder bei der Charta der Vielfalt sind, die uns genau dafür als zusätzlicher Ansporn dient.