„Digitalisierung mit klarem Ziel: Versorgung stärken – statt Verwaltungsdruck erhöhen“

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Rania Abbas, Vorstandsreferentin und Verantwortliche für Public Affairs bei der Meierhofer AG sowie Leiterin der Projektgruppe „ePA für alle“ im Bundesverband Gesundheits-IT (bvitg e. V.), spricht über Chancen und Stolpersteine der elektronischen Patientenakte. Im Interview geht es um Vertrauen, Akzeptanz, politische Verlässlichkeit – und die Frage, was Digitalisierung leisten muss, um wirklich in der Versorgung anzukommen.

Rania, direkt zum bundesweiten Start der ePA hat der Chaos Computer Club (CCC) neue Lücken aufgedeckt. Wie ordnest du die Nachrichten ein?

Im Grunde läuft die Einführung der ePA ohne große Probleme ab. Die Zugriffe auf die Aktenkonten funktionieren in der Regel fehlerfrei. Am Einführungstag haben rund 50 unterschiedliche Primärsysteme erfolgreich mit den Aktendiensten interagiert - bei mehreren hunderttausend Zugriffen. Performanceprobleme oder gravierende Fehler sind bislang ausgeblieben. Die vom CCC beschriebene Schwachstelle, bleibt theoretischer Natur, auch wenn sie technisch nachvollziehbar ist. Die gematik hat umgehend reagiert und entsprechende Maßnahmen ergriffen. Mehr Transparenz und technische Wachsamkeit sind in solchen Fällen essenziell – ohne gleich Misstrauen zu säen. Es ist wichtig, dass die Sicherheitslücken adressiert und behoben werden. 

Hat die ePA ein Vertrauensproblem?

Vertrauen entsteht nicht über Nacht – besonders nicht in einem Umfeld, das über Jahrzehnte hinweg von regulatorischen und technischen Reibungen geprägt war. Die ePA hat das Potenzial, Vertrauen aufzubauen, wenn Nutzen und Sicherheit gleichermaßen spürbar werden. Entscheidend ist: Wer einen echten Mehrwert erkennt, sei es durch mehr Patient*innensicherheit oder weniger bürokratischen Aufwand, wird der ePA mit größerer Offenheit begegnen. Damit das Vertrauen wächst, muss sie den Versorgungsalltag wirklich erleichtern: für Praxen, Kliniken und Pflegeeinrichtungen, für das Personal und vor allem für die Patient*innen. 

Im Koalitionsvertrag heißt es: Noch 2025 soll die ePA verpflichtend eingeführt werden. Erst freiwillig und stufenweise – und Endes des Jahres dann mit Sanktionen.  Ist das ambitioniert genug?

Das Ziel ist richtig gesetzt, aber die Ambition allein reicht nicht. Es braucht technische Stabilität, Schulung, klare Kommunikation und vor allem: eine echte Akzeptanz in der Breite. Sonst bleibt es ein politisches Projekt ohne Wirkung in der Versorgung. Dafür haben viel zu viele Menschen sehr hart gearbeitet, um die Versorgung von morgen zu verbessern. Es geht nicht ausschließlich um die technische Umsetzung und Digitalisierung. Das Ziel ist Patient*innen und Bürger*innen in Deutschland zu unterstützen. Eine stufenweise Einführung, wie vom BMG und der gematik ausgesprochen, ist nur folgerichtig. Wenn wir in die Vergangenheit schauen, haben wir ohne Sanktionen nicht den gewünschten Erfolg erzielt.

Kann unsere neue Gesundheitsministerin sich Sanktionen denn leisten, ohne direkt Vertrauen zu verspielen?

Sanktionen sind in der Gesundheitsversorgung ein sensibles Thema. Akzeptanz entsteht nicht durch Druck, sondern durch Überzeugung. Die neue Bundesgesundheitsministerin sollte sich vielmehr durch Verlässlichkeit, Dialog mit allen relevanten Akteur*innen und Fokus auf Nutzen profilieren. Wenn die ePA als hilfreiches Werkzeug wahrgenommen wird, braucht es keine Sanktionen, dann kommt die Nutzung von allein. Ich sehe aber auch, dass ohne Sanktionen in den letzten Jahren nicht der gewünschte Erfolg eingetreten ist. Ich bin sehr gespannt, welchen Weg Frau Warken einschlagen wird.

Ein großes Thema ist der Aufklärungsbedarf. Werden die Praxen da ausreichend unterstützt?

Ganz klar nein! Aktuell tragen Praxen einen Großteil der Aufklärungsarbeit – unentgeltlich! Ich habe privat mit vielen Leistungserbringer*innen Kontakt und sie explizit dazu befragt: Es braucht eine Abrechnungsziffer, wenn Patient*innen zur ePA beraten werden wollen. Auch klare Ansprechpartner*innen, Aushänge zu den Kassenkontakten und eine zentral zugängliche, verlässliche Informationsquelle würden helfen. Und ja, die gematik als Digitalagentur muss sich hier neu aufstellen und das Vertrauen des Gesundheitspersonals sowohl ambulant, stationär als auch in der Pflege aufbauen oder zurückgewinnen. 

Du leitest die bvitg-Projektgruppe „ePA für alle“. Wann ist die ePA wirklich bei allen angekommen?

Allen? Puh, schwierige Frage! Das ist ein langfristiger Prozess mit einer Vielzahl von Herausforderungen. In den letzten Monaten und Jahren haben Stephan Neubauer von der medatixx und ich in der Projektgruppe technisch und politisch an der ePA und dessen Umsetzung aktiv mitarbeiten dürfen. Auf operativer Ebene ist ein vertrauensvoller Austausch, sowohl rund um die technischen Spezifikationen als auch die politischen Veränderungen entstanden. Das freut uns, und muss genauso weitergehen. Danke an dieser Stelle an den bvitg, der es möglich macht, diese Art der Zusammenarbeit zu leben.
In anderen Ländern sieht man: So ein Riesen-Digitalisierungsprojekt braucht viele Jahre, iterative Anpassungen und vor allem eines der Lieblings-Buzzwords unserer heutigen Zeit: “Mindset-Change”. Die ePA hat die Chance als zentrales Steuerungselement der Patient*innen zu dienen – und das sektorenübergreifend. Bei uns in Deutschland dominiert leider oft der Kritikblick. Wir sehen zuerst die Probleme statt die Potenziale. Die ePA ist dann angekommen, wenn alle Beteiligten – also auch die Patient*innen und Bürger*innen wie du und ich einen echten Mehrwert spüren. Zum Beispiel durch ein funktionierendes Medikationsmanagement wie mit dem digital-gestützten Medikationsplan (dgMP). Es muss für alle praktikabel gestaltet werden und unsere Gesundheit unterstützen. Dann sehe ich das Projekt als erfolgreich. Ich bin zum aktuellen Zeitpunkt aber sehr zufrieden. 

Du bist gut vernetzt – wie wichtig sind Plattformen wie LinkedIn und Events wie die DMEA für den Fortschritt?

LinkedIn ist ein starkes Netzwerk, aber eben auch eine Digitalisierungs-Bubble”. Die Energie, die man auf Events wie der DMEA spürt, wünscht man sich öfter im Versorgungsalltag. Wichtig ist, dass der Austausch auch außerhalb von Bühnen und Social Media stattfindet – nur so kommt echte Bewegung in die Versorgung.

Macht dir der politische Neuanfang Hoffnung?

Ja! Aber vorsichtige. Ich glaube auch, dass es sehr stark daran liegt, mit wem man hier in der Branche spricht. Ein Neuanfang kann viel verändern, jedoch braucht es mehr als neue Gesichter. Wir reden viel über Gesetze, aber es geht um Umsetzung, nicht nur um Paragrafen. Nur wenn neue Strukturen nachhaltig aufgebaut werden, bringt uns das weiter. Ich bin hoffnungsvoll, dass wir Schritt für Schritt die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens in die Gesellschaft bringen. 

Was wünschst du dir für die neue Legislaturperiode?

Danke für den Klassiker! Also erst einmal: Keine Digitalisierung nach Legislaturzyklen! Projekte wie die ePA brauchen langfristige Verbindlichkeit. Ich wünsche mir, dass die Politik klare Ziele setzt – und dann verantwortungsvoll in Expert*innen-Hand übergibt, statt ständig nachzusteuern. Das sieht man spätestens nach dem 06.11.2024. Durch den Bruch der Ampel und die Tatsache, dass Prof. Karl Lauterbach nicht mehr Bundesgesundheitsminister ist, sind viele Themen hinfällig geworden. Oftmals fangen wir wieder von vorne an, um Punkte richtig zu platzieren und durchzubringen.

Und: Wir brauchen Geld für Innovation. Für ein KHZG 2.0, für ein Praxis-Zukunftsgesetz, für echte Digitalisierungsförderung, unabhängig von klassischen Finanzierungslogiken. Man muss kein großer Lauterbach-Fan gewesen sein, aber er hat mit dem DigiG und dem GDNG wichtige Weichen gestellt, um die Digitalisierung voranzutreiben. Dass das GDAG nicht verabschiedet wurde, war aus Sicht der Industrie in Teilen nicht ungünstig, es hätte uns einer Staatsmedizin nähergebracht. Aber auch dieses Gesetz hätte in vielen Punkten den digitalen Fortschritt beschleunigt.