Support für Supporter: ein Tool für Angehörige

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Als Kind war Armando Statti selbst auf Pflege angewiesen. Jetzt hilft er anderen, Pflege in Anspruch zu nehmen. Als einer der Gründer der Plattform deinePflege erleichtert er damit das Beantragen von Pflegeleistungen und vermittelt die benötigte Unterstützung. Mit Simeon Atkinson spricht Armando über die Herausforderungen in der Pflege und erklärt, wie Start-ups Teil der Lösung sein können.

Armando, als Kind warst du selbst auf Pflege angewiesen. Wie war das? Hast du schon einen Eindruck gewonnen, welche Dinge schieflaufen in der Pflege?

Ich war damals mit 14 Jahren noch sehr jung und ich glaube, es wäre einfach falsch, wenn ich heute sagen würde, dass ich zu der Zeit schon in konkreten Lösungen gedacht habe. Diese Phase hat mich aber stark geprägt.

Ich kann sagen, dass ich damals bedingungslos auf das System angewiesen war. Damit meine ich nicht nur das Gesundheitssystem, die Therapiemöglichkeiten, die Ärzte oder die stationäre Versorgung in der Kinderklinik.

Die Frage geht vielmehr in die Richtung: Wie bietet man einem 14-Jährigen mit einer Autoimmunerkrankung, der drei bis vier Wochen sechs bis sieben Stunden an der Dialyse auf eine Spenderniere wartet, gleichzeitig die Möglichkeit, an Bildung, sozialer Inklusion und dem eigentlichen Aufwachsen teilzuhaben? Es war also nicht nur das Gesundheitssystem, sondern auch unser Sozialsystem, auf das ich damals angewiesen war.

Hast du dafür ein Beispiel?

Ich hatte zu der Zeit einen Zugang, den ich für die Dialyse brauchte. An den Tagen, an denen ich nicht bei der Dialyse war, musste dieser versorgt werden. Das Beantragen der Hauskrankenpflege und das Finden einer Kraft, die diese Aufgabe übernimmt, hat damals unglaublich lange gedauert. Am Ende bekam meine Mutter eine kurze Einweisung im Krankenhaus und versorgte mich selbst.

In solchen Momenten stellt man sich unweigerlich die Frage, wie man Hilfe zeitnah bekommen kann. Und das ist gar nicht so einfach. Warum hat ein Antrag auf Pflegestufe so viele Seiten wie eine Steuererklärung? Und warum dauert dieser Prozess manchmal sechs bis acht Wochen? Wie gesagt, damals hatte ich noch keine Lösung. Aber diese Zeit hat mich insofern geprägt, als ich mich für ein Studium der Medizininformatik entschied und mir vornahm, meine Energie in die Verbesserung der Versorgung im Gesundheits-, aber auch im Sozialbereich zu investieren.

Nach der Uni hast du einige Zeit in der Wissenschaft verbracht. Welche Erkenntnisse oder Erfahrungen hast du da gesammelt, die dir heute helfen?

In erster Linie war es eine unglaublich tolle und lehrreiche Zeit. Ob als Lehrbeauftragter, während des Studiums oder später am Fraunhofer-Institut, ich hatte immer die Möglichkeit, an interessanten und abwechslungsreichen Ideen bzw. Projekten mitzuarbeiten.

Nur eine Sache hat mich gestört. Die Forschung im Bereich der Digitalisierung empfand ich immer als etwas träge. Damit will ich nicht sagen, dass sie nicht wertvoll ist. Sie betrachtet die Digitalisierung, insbesondere im Gesundheitswesen, aus einer Perspektive und in einer Tiefe, die in der Industrie oder Wirtschaft nicht immer möglich ist. Es sei denn, es handelt sich um ein Medizinprodukt, das eine klinische Studie erfordert.

Der Sprung vom Fraunhofer-Institut zum eigenen Start-up ist ja kein ganz gewöhnlicher Karriereschritt. Wie kam es dazu?

Auf dem Weg zum Start-up habe ich zunächst einen Umweg gemacht. Zuerst fand ich meinen Platz bei IBM. Eine Erfahrung und Zeit, die ich in meinem Berufsleben nicht missen möchte. Auch hier lag mein Schwerpunkt auf Projekten im Gesundheitswesen. Damals ging es viel um präventive Lösungen. Vor allem im Bereich Diabetes.

Die Zeit dort hat zwar mein Bedürfnis nach lösungsorientierten Ansätzen und den Drang, Produkte zu entwickeln, die die Probleme vieler Patienten lösen, befriedigt. Aber ein Punkt fehlte damals noch: Es war nicht mein eigenes Projekt! Das war die Geburtsstunde von deinePflege. Nicht nur ich war zu der Zeit von der Idee der Selbstständigkeit in der häuslichen Pflege begeistert. Auch meinen damaligen Teamleiter bei IBM konnte ich von der Selbstständigkeit überzeugen. So startete ich mit ihm und einem weiteren Mitgründer den Weg in die Selbstständigkeit.

Kommen wir vom persönlichen Wandel zu dem Wandel, den die Pflege nötig hat. Was ist aus deiner Sicht unser Grundproblem in der Pflege?


Ich denke, es ist eine Kombination aus verschiedenen Gegebenheiten: die steigenden Kosten, gerade auch im stationären Bereich, mangelnde Finanzierung in der häuslichen Pflege, der erschwerte Zugang zu Leistungen und die immer noch analoge und starre Infrastruktur.

Das ist das beste Mittel dagegen, wenn man mich fragt: ein präventives Gesundheitssystem und eine gut ausgebaute und ausreichend finanzierte häusliche Pflege. Außerdem ein deutliches Umdenken in der Pflegepolitik.

Es gibt mittlerweile gute Lösungsansätze, spannende Unternehmen und Start-ups, die gerade die häusliche Pflege bedienen. Leider sind die Hürden für die Nutzung und Umsetzung noch zu hoch. Und ich bin überzeugt, dass das Thema durchaus gesellschaftliche Sprengkraft hat.

Läuft das in anderen europäischen Ländern denn besser? Du hast selbst Wurzeln und Familie in Italien, was könnten wir uns dort abschauen?

Wenn wir die Länder systematisch vergleichen, bezweifle ich, dass Italien besser dasteht. Die stationäre Pflege ist nicht so weit verbreitet und die Pflege wird größtenteils zu Hause von Familienangehörigen oder anderen informellen Pflegepersonen geleistet. Sozialleistungen gibt es in diesem Zusammenhang kaum.

Wenn ich einen Blick nach Europa werfen müsste, würde ich Richtung Skandinavien blicken. Das skandinavische System basiert auf dem Beveridge-Modell. Es ist also staatlich reguliert. Jeder Bürger hat eine Vollversicherung und beteiligt sich mit einem Selbstbehalt. Kein Bürger wird benachteiligt und jeder erhält dieselbe Leistung. Das deutsche System folgt dem Bismarck-Modell und muss wirtschaftliche Erfolge erzielen.

Es werden auch regelmäßige Studien bzw. Statistiken veröffentlicht, die veranschaulichen, dass z. B. Norwegen oder Finnland deutlich mehr Pflegepersonal pro 10.000 Einwohner haben als Deutschland.

Welchen Beitrag leistest du mit deinem Team von deinePflege, um diese Herausforderungen zu bewältigen?

Unser Ziel ist es, den Menschen den Zugang zu Sozialleistungen bzw. vor allem den Pflegeleistungen zu erleichtern. Das erreichen wir, indem wir die Möglichkeiten transparent aufzeigen und pflegende Angehörige oder Pflegebedürftige befähigen, diese direkt digital zu beantragen und zu beziehen. Das wollen wir mit digitalen Lösungen erreichen.

Ich sage auch immer, wir sind dabei, den größten Pflegedienst in Deutschland zu digitalisieren – die Angehörigen! Im Durchschnitt kümmern sich zwei Angehörige um einen Pflegebedürftigen. Das sind in Deutschland Stand 2022 bereits
5 Millionen.

Am Ende machen wir die Pflege nicht schöner. Wir wollen aber erreichen, dass sie ein Stück angenehmer und einfacher wird. Wir wollen von Beginn an helfen, die richtigen Leistungen zu erhalten, und präventiv dabei unterstützen, dass die Menschen so lange wie möglich zu Hause bleiben können.

Das ist eine große Aufgabe. Warum glaubst du, dass ihr es schaffen könnt, hier einen Unterschied zu machen?

Im Jahr 2022 wurden 12 Milliarden Euro an Pflegeleistungen nicht in Anspruch genommen. Das sind etwa 70 Prozent der Leistungen, die uns eigentlich zustehen.

Ich denke, wenn wir anfangen, Pflegebedürftige und ihre Angehörigen zu befähigen, Leistungen und davon auch viele präventive Leistungen besser oder überhaupt in Anspruch zu nehmen, ist ein erster Schritt getan. Wir werden weiter hart daran arbeiten, mit weiteren digitalen Lösungen die häusliche Pflege weiter zu unterstützen und auch präventive Maßnahmen weiter zu etablieren. Ich bin heute schon überzeugt: Das macht einen Unterschied!

Letzte Frage: Was können Healthcare-Innovatoren von deinem Weg oder dem Weg von deinePflege lernen? Welche Fehler würdest du nicht noch einmal machen?

Erstens: Fokussiert euch auf eine patientenorientierte Lösung, die wirklich einen Mehrwert schafft. Das ist meist nur ein erster kleiner Teil eurer Ideen. Stichwort Minimum Viable Product. Es ist unglaublich wichtig, dass euer Produkt auch wirklich das hält, was es verspricht.

Zweitens: Validiert euer Geschäftsmodell so schnell wie möglich. Eure Lösung kann noch so gut sein, am Ende muss auch Geld verdient werden. Gerade in Zeiten wie diesen. Das erleichtert auch die Suche nach den richtigen Investoren.