„Wir alle müssen wieder lernen“

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Dr. Claus Clasvogt leitet das Change Lab bei thyssenkrupp. Er ist promovierter Ingenieur der Luft- und Raumfahrttechnik. Dr. Claus Clasvogt arbeite zehn Jahre in der Forschung & Entwicklung bei Daimler-Benz und Ford, bevor er mit 35 Jahren den radikalen Wechsel in die Beratung zu McKinsey&Company wagte. In zahlreichen Transformationsprojekten in den verschiedensten Technologieunternehmen entwickelte er eine tiefe Leidenschaft für die Team- und Organisationsentwicklung. Seit 2012 arbeitet er bei thyssenkrupp und bleibt auch hier seiner Leidenschaft treu. Babette Kemper, Co-Gründerin der Agentur Achtung! Mary, hat ihn interviewt.

Claus, du leitest das Change Lab bei thyssenkrupp. Kannst du kurz beschreiben, was genau ihr macht und welche Fachexpertisen dort zusammenkommen?

Unsere Arbeit ist stark dadurch geprägt, dass wir im Corporate HR-Bereich angesiedelt sind. Unsere Hauptaufgabe besteht darin, „New Ways of Working“ im Konzern voranzutreiben. Wir sind verantwortlich u. a. für Konzerninitiativen wie „Lean&Agile“, die konzernweite Kollaborationsplattform „we.match“ sowie die Change-Unterstützung ausgewählter Konzerninitiativen. Entsprechend liegen die Fachexpertisen im Bereich Agile Coaching, Projekt- und Change-Management. Gefühlt liegt aber der Schwerpunkt gerade auf der Change-Kommunikation, wenn ich auf unsere zahlreichen Beiträge in den internen Group News schaue.

Veränderung ist somit quasi ja euer Alltag. Was braucht es grundsätzlich, um Mitarbeitende auf Veränderung vorzubereiten – bzw. sie mitzunehmen?


In einem komplexen System wie einer Organisation können wir nur zwei Dinge wirksam tun.

Erstens
: Randbedingungen festlegen und ihre Einhaltung sicherstellen, von der Zielvereinbarung und der Budgetallokation über die Regeln zum Datenschutz bis hin zur Arbeitssicherheit. Diese Kontextfaktoren bzw. ihre Veränderungen zu kommunizieren ist eine sehr handwerkliche Aufgabe und sollte daher Handwerkszeug jeder Führungskraft sein. Hier haben unsere Mitarbeitenden immer wieder sehr deutlich gemacht, dass ihre direkte Führungskraft Veränderungen mit unmittelbarem Bezug zum Arbeitsbereich der Mitarbeitenden kommunizieren soll.

Zweitens
– und hier liegt unser Schwerpunkt: die positive Verstärkung gewünschten Verhaltens innerhalb des Systems sowie die Beseitigung von Hindernissen, die diesem gewünschten Verhalten im Wege stehen.

Hast du für euer Schwerpunktthema ein konkretes Beispiel?

Nehmen wir ein sehr aktuelles. Wir gestalten gerade eine konzernweite KI-Initiative. Wir führen dazu mehrere Workshops mit unseren Top-Führungskräften und KI-Experten durch. Wie haben wir das gemacht? Wir haben sehr wertschätzend die zahlreichen positiven Anwendungsfälle in unserem Unternehmen präsentieren lassen, um zur Nachahmung anzuregen. Der Plan ging auf. Die Ideen sprudelten nur so aus den Teilnehmenden heraus. Parallel arbeiten wir an einem KI-freundlichen Ökosystem, in dem wir systematisch herausfinden, was unsere Mitarbeitenden abhält bzw. was sie brauchen, um mehr KI-Anwendungen zu wagen.

Was sind die größten Hürden für Wandel in Konzernen?


Ich beantworte diese Frage mal aus kultureller Sicht. Konzerne mit 100.000 Mitarbeitenden sind aufgrund ihrer Internationalität und Größe vielmehr Spiegel der jeweiligen Gesellschaft und deren Strömungen, als dass sie geprägt sind durch eine Unternehmenskultur. Am ehesten habe ich eine stark ausgeprägte, homogene Unternehmenskultur in der Beratung bei McKinsey erlebt. Aber in den Konzernen, in denen ich sowohl in Asien als auch in Europa und Amerika gearbeitet habe, konnte ich eins klar feststellen: Die Unternehmenskulturen in Wolfsburg, Stuttgart-Untertürkheim und Köln-Merkenich haben sich weniger unterschieden als die innerhalb eines Unternehmens zwischen den Standorten z. B. in Köln, London und Dearborn. Dementsprechend versuchen wir, den „Wandel“ immer so weit wie möglich auf Ebene unsere Segmente und Regionen herunterzubrechen. Je spezifischer wir werden, desto näher sind wir damit an der Lebenswirklichkeit und den Bedürfnissen unserer Mitarbeitenden.

Was sind die größten Veränderungen, mit denen ihr derzeit umgeht?

Eine größere Aufgabe ist aktuell die Unterstützung unseres konzernweiten Performanceprogramms. Ein wichtiger Aspekt bei diesem Programm ist es, die Zuversicht in die Erreichung sehr ambitionierter Programmziele zu stärken. Hierzu lassen wir jede Woche in den Group News in verschiedensten Formaten Protagonisten des Programms Einblicke in ihre Arbeit geben. Wir wollen Vertrauen schaffen durch Nähe zu den Protagonisten, durch Glaubwürdigkeit der Ziele und Arbeitsweisen und durch Verlässlichkeit kontinuierlicher Umsetzungserfolge.

Sehr viel ändert sich, gleichzeitig hat aber auch einiges Bestand. Was bleibt aus deiner Sicht essenziell oder wird gar wichtiger denn je?


Die hohe Veränderungsgeschwindigkeit unserer Zeit fordert Menschen sehr viel ab. Nicht weil wir dazu nicht in der Lage wären. Die Geschichte zeigt, wie unglaublich veränderungsfähig der Mensch sein kann, wenn es darauf ankommt. Wir haben dies nur verlernt. Wir sind immer noch geprägt von der tradierten Vorstellung einer Ausbildung und eines Berufes auf Lebenszeit. Eine wissenschaftliche Studie hierzu hat mich aber besonders nachdenklich gemacht. Insbesondere Männer über 40 haben eine stark abfallende Lern- und damit Veränderungsbereitschaft. Während sie interessanterweise bei Frauen in dem Alter wieder stark ansteigt – sicherlich aus einem rollen- und nicht geschlechterspezifischen Grund.

Man muss kein Prophet sein, um zu erkennen, dass wir alle – während unseres ganzen Berufslebens – wieder lernen müssen, fortwährend dazuzulernen. Als Nächstes steht für uns als Wissensarbeiter offensichtlich an, unsere ChatGPT-Prompting-Skills weiterzuentwickeln. Gerade die KI hat das Potenzial, Gewinner und Verlierer dieser Entwicklung – sowohl als Unternehmen als auch als Individuum – noch schneller sichtbar zu machen. Die Zukunft gehört fortan den Lernenden.