„Noch im Trial-and-Error-Modus unterwegs“
Danny Schwarze ist Principal Expert Strategic Content Positioning bei Atruvia, dem IT-Dienstleister der Genossenschaftlichen Finanzgruppe Volksbanken Raiffeisenbanken. Atruvia beschäftigt mehr als 9.000 Mitarbeitende, die einen jährlichen Konzernumsatz von etwa 1,8 Milliarden Euro erwirtschaften. Im Gespräch mit Achtung! CEO Mirko Kaminski schildert er, wie Mitarbeitende für Veränderungen zu begeistern sind.
Danny, die Veränderungen, die wir gerade erleben, sind riesig. Welche Rolle spielt aus deiner Sicht PR bzw. Kommunikation, um Stakeholder mitzunehmen und von Veränderung zu überzeugen?
Ohne Kommunikation kann Transformation nicht erfolgreich sein. Veränderungsprozesse sind immer multidimensional und brauchen eine konsequente Begleitung durch aktive Kommunikation. Von Anfang bis Ende. Die Auswirkungen für unterschiedliche Stakeholdergruppen sind mal unmittelbar, mal indirekt. Dabei sind nicht nur „Berufskommunikatoren“ in der Verantwortung. Wir „Profis“ sind allerdings gefragter denn je – als Verbindung zwischen unterschiedlichen Peers, als Übersetzer zwischen verschiedenen Fachfunktionen und Hierarchieebenen. Und als Wächter über Botschaften und Konsistenz.
Die Kommunikation an sich muss heute schnell, dynamisch, agil sein. Wie schafft ihr das bei Atruvia?
Wir orientieren uns in unserer Ablauforganisation stark an den agilen Methoden, die in anderen Bereichen unseres Unternehmens, allen voran in der Softwareentwicklung, bereits etabliert sind. Wir stellen damit die Anschlussfähigkeit unserer Planung an andere Planungsperspektiven im Haus her. Das ist wichtig, da wir in der Regel bei allen Themen im intensiven Austausch mit Fachkolleg*innen stehen. Dennoch sind Rollen, Abläufe, Methoden und Tools aus anderen Bereichen nicht 1 : 1 auf unsere Gewerke übertragbar. Daher arbeiten wir im Team aktuell gemeinsam an unserer eigenen Interpretation, die für uns den größten Mehrwert bietet und den Beitrag zum Erfolg des Unternehmens maximiert.
Klingt spannend. Kannst du das etwas genauer erläutern?
Unsere Aufbauorganisation folgt einer Matrix-Organisation, so wie sie in vielen Unternehmen Anwendung findet. Die Begrifflichkeiten und Rollen orientieren sich dabei am Spotify-Modell. Alle Marketing- und Kommunikationsdisziplinen fassen wir in drei sogenannten Tribes zusammen. So finden alle Mitarbeitenden in Corporate Communications, Brand Experience und Marketing ihre fachliche Heimat. In Kombination mit der agilen Ablauforganisation entstehen für jedes Thema und Projekt Teams, die fachlich und kapazitär optimal aufgestellt sind. Zumindest in der Theorie :)
Klappt das gut oder gibt es Verbesserungspotenzial?
Ja und ja. Die Lernkurve ist aktuell sehr steil. Wir erleben mehr oder weniger fortlaufend, an welchen Stellen wir mit unserer Ablauforganisation nicht zum gewünschten Ergebnis kommen, und überlegen gemeinsam, wie wir es anders gestalten können. Sehr gut klappt meiner Meinung nach bereits die gewerkeübergreifende Zusammenarbeit, weil diese Art der Organisation sehr viel Raum für Dialog und eigenverantwortliches Arbeiten lässt. Außerdem verzichten wir mittlerweile auf unnötige Status-Bericht-Arien. Halleluja!
O. K. Aber wo hakt es konkret?
Was uns meines Erachtens am schwersten fällt, sind Priorisierung und Ressourcenplanung. Das hat zum einen Teil damit zu tun, dass wir immer noch im Trial-and-Error-Modus unterwegs sind. Zum anderen aber auch damit, dass wir als Marketing- und Kommunikationsabteilung nicht nur aus uns heraus planen und priorisieren können. Abhängigkeiten zu anderen Bereichen im Unternehmen, die Zusammenarbeit mit den Executives oder auch Verbund- sowie gesamtpolitische Entscheidungen haben einen Einfluss auf unsere Themen- und Projektschwerpunkte. Die iterative Planung hilft uns dennoch dabei, nicht ständig die gefühlte „Rolle rückwärts“ zu machen, wenn sich die Prioritäten verschieben.
Wie gelingt es grundsätzlich, Mitarbeitende im Kommunikations- bzw. PR-Bereich für neue Prozesse, neue Strukturen und generell immer wieder Neues zu begeistern?
Zunächst einmal möchte ich festhalten, dass es fahrlässig wäre, vorauszusetzen, dass sich Menschen immer wieder aufs Neue für Veränderungen begeistern MÜSSEN. Alleine mit dieser Erwartungshaltung an andere kann ich nur verlieren. Für mich persönlich, aber auch in der Rolle als Führungskraft. Mit den Erfahrungen der vergangenen Jahre – sowohl bei Atruvia als auch in vorherigen Stationen – kann ich es immer wieder auf drei Dinge runterbrechen, die für mich entscheidend sind.
Die da wären?
Erstens: Partizipation. Dabei geht es mir nicht darum, jedes Mal jeden Einzelnen im Team um eine persönliche Meinung zu fragen und alles in der Basisdemokratie ersaufen zu lassen. Es geht darum, sehr genau zu überlegen: Welche Perspektiven brauche ich, um ein Thema, einen Prozess, eine Struktur oder was auch immer bestmöglich weiterzuentwickeln? Und ich rede nicht nur von fachlichen Perspektiven. Dauer der Unternehmenszugehörigkeit, Arbeitszeitmodelle, akademischer Background, Persönlichkeit, Methodenkompetenz – all diese Dinge können ein entscheidender Faktor für das bestmögliche Ergebnis und dessen Akzeptanz im Team sein.
Zweitens: Fokus. Ich selbst bin oft genug damit gescheitert, alle Dinge gleichzeitig verändern zu wollen. Lieber ein Thema weniger und dafür gut abgeschlossen, als alles gleichzeitig unfertig im Chaos untergehen zu lassen. Dann wird aus Lust nämlich schnell Frust. Aus Utopie wird schnell Dystopie. Auch hier gilt deshalb, besser iterativ vorzugehen. Bei jenen Dingen anfangen, die den größten Einfluss haben. Und es gilt, auch bereit zu sein, diesen Weg gegen äußere Widerstände zu verteidigen.
Fehlt noch: Drittens!
Genau. Drittens: Fachlichkeit und Systemik berücksichtigen! Jede Veränderung hat (mindestens) eine fachliche und eine persönliche Ebene. Wir fokussieren uns leider bis heute zu häufig auf die Fachlichkeit und machen uns zu wenige Gedanken über die Menschen auf einer emotionalen bzw. Beziehungsebene. Die Wechselwirkung zwischen diesen beiden Ebenen ist aber elementar für das Gelingen jeder Veränderung. Wir wissen ja: Culture meets Strategy for Breakfast … and Lunch … and Dinner.
An welcher Stelle hast du selbst einmal deine Komfortzone verlassen und wie hast du dich motiviert?
Ich verlasse regelmäßig meine Komfortzone. Viele Themen, die ich verantworten bzw. bei denen ich mitwirken darf, schüttle ich nicht aus dem Ärmel. Das mache ich, glaube ich, mit Neugier, Empathie und Demut ganz gut wett. Und fühle mich jetzt gerade ganz akut sehr unwohl dabei, mir selbst so auf die Schulter zu klopfen. (lacht)
Extra motivieren muss ich mich dafür Gott sei Dank nicht, da ich es nur schwer aushalte, wenn Dinge so vor sich hin plätschern. Meine Komfortzone ist nur nach der Arbeit saugemütlich.
Worauf wird es deiner Meinung nach mit Blick auf die Kommunikation von Unternehmen generell künftig ganz stark ankommen – vielleicht stärker als je zuvor?
Irgendwas mit KI, Datengetrieben, Purpose und so. Spaß beiseite! Die unmittelbare Kommunikation zwischen Menschen gewinnt sehr stark an Bedeutung. „Wir“ als Kommunikatoren tun sehr gut daran, Menschen auf allen Hierarchieebenen dazu zu befähigen, als Multiplikatoren für Themen und Botschaften zu fungieren, wenn nahezu jede andere Form der Kommunikation durch Technologie verändert, verfälscht oder vervielfältigt werden kann.
Und worauf noch?
Informations- und Aufmerksamkeitsökonomie haben sich in den vergangenen Jahren dramatisch verändert. Das hat nicht nur für die externe Kommunikation von Unternehmen erhebliche Auswirkungen – auch in der internen Kommunikation lassen sich ähnliche Verhaltensmuster beobachten. Das Überangebot an Inhalten und Kommunikationsprodukten fordert Unternehmen in alle Richtungen. Weniger wird wieder mehr – auch, um Inhalten und Botschaften mehr Bedeutung zu verleihen.
Wenn dich heute ein junges Talent in der PR nach einem Karrieretipp fragt: Welchen gibst du?
Leg dich nicht zu früh fest. Vielleicht sogar nie. Weder auf Beratungs- noch Unternehmensseite. Nicht auf generalistische Ausbildung oder tiefe Fachexpertise. Nicht auf Führungs- oder Fachkarriere. Nicht auf eine bestimmte Branche. Nicht auf DIE eine Expertise. Denn die allerwenigsten brennen ihr Leben lang für nur ein einziges Thema. Ausnahmen bestätigen übrigens die Regel.
Gibt es noch einen Tipp?
Ja. Schmeißt euch bitte regelmäßig aktiv ins kalte Wasser. Resilienz entsteht nicht am Beckenrand. Und Resilienz brauchen wir mehr denn je. Privat wie auch beruflich.